Die Knochen der Goetter
den Toten gelaufen und da hat er es mir gesagt.«
Suleimans Gesicht verzerrte sich. »Ich wünschte, es wäre nicht so. Immer kommt Mahu zu mir. Er ist mächtig und ich muss tun, was er will. Aber es ist auch gefährlich, für ihn zu arbeiten. Was er verlangt, sind verbotene Götter.«
Nauri blickte auf. »Im Haus des Todes trägt Mahu die Schakalmaske.«
Suleiman legte einen Finger an die Lippen. »Erzähl das niemandem. Die Götter dieses Landes liegen im Streit mit ihrer Königin.« Er musterte die Werkstatt. Dann verhängte er den Eingang mit einem großen Vorhang aus dunklem Stoff und begann seine Werke auf den großen Holztisch zu stellen, an dem er tagsüber gearbeitet hatte. Dabei fiel sein Blick auf Nauris wächserne Katze.
»Räume deine Arbeit fort. Versteck sie.«
»Warum?«, rief Nauri. »Sie ist schön.«
»Ja, du hast eine große Gabe, die Dinge zu formen, die du um dich herum siehst. Aber in Mahus Augen ist das ketzerisch. So etwas würde er nie erlauben.« Suleiman hielt Nauri eine seiner goldenen Katzen entgegen. »So hat eine Katze nach dem Willen der Priester auszusehen.«
»Aber Vater«, widersprach der Junge, »ich weiß genau, dass die Tiere bei uns zu Hause nicht so aussahen. Und hier sehen sie auch nicht so aus.«
Suleiman hielt inne. »Das waren andere Tage.«
»Trotzdem«, beharrte Nauri. »Ich weiß genau, dass Katzen keine Ohrringe tragen und keinen Brustpanzer. Ihre Augen sind nicht rot und sie haben keine Zeichen auf dem Körper wie diese. Meine Katze sieht aus wie die Katzen, die ich jeden Tag vom Haus des Todes vertreibe. Jeder sieht sie so. Warum darf dann niemand sehen, was ich kann?«
»Weil es uns in Gefahr bringen würde«, antwortete sein Vater. »Weil wir hier Sklaven sind und tun müssen, was der Priester verlangt.«
Nauri sah seinen Vater verdrossen an.
»Willst du immer goldene Katzen machen, die es nicht gibt? Früher hast du Flötenspieler aus Sandstein gearbeitet und Frauen, die so dick und schön waren wie wirkliche Frauen!«
Suleiman schwieg und sah seinen Sohn lange an.
Dann sagte er: »Ja, ich hätte gerne die Freiheit, Frauenskulpturen aus Sandstein zu schlagen. Aber hier bin ich ein Sklave. Und hier bin ich ein Goldschmied. Hier beherrscht mich das Gold, das der Priester mir gibt, damit ich mache, wonach er verlangt.«
»Gold«, sagte Nauri verächtlich. »Das Fleisch der Götter nennen sie es. Davon haben sie hier genug. So viel, dass sie es dir jetzt und in Zukunft geben werden, damit du daraus Kunstwerke für sie machst. So viel, dass es reichen wird, bis wir als ihre Sklaven sterben.«
»Vergiss nie«, sagte sein Vater eindringlich, »dass es das ist, was uns ernährt.«
Filine verfolgte die Szene voller Erstaunen. Rufus hatte offenbar das Richtige gesagt, als er von der Wachskatze sprach, und damit die Flut zurückgerufen.
Sie wollte sich eben zu ihm umdrehen, als ihr eine Hand auf die Schulter tippte.
»Was siehst du?«
Filine fuhr zusammen. »Na, das da.«
»Was denn?«, fragte No, dessen Hand es gewesen war. »Rufus und ich sehen überhaupt nichts. Du bist die Einzige, die etwas sieht.«
»Was?«, flüsterte Filine. »Und wie kommt das?«
»Das gibt es«, sagte eine Stimme hinter ihnen in der dunklen Bibliothek. Es war Meisterin Iggle, die unbemerkt zu ihnen getreten war. »Es gibt solche Momente in der Flut, die sich nur einem der Beteiligten zeigen. Aber wenn du willst, kannst du erzählen, was du siehst.«
»Und Coralia?«, fragte Rufus. »Sollte sie nicht auch dazukommen?«
»Sie ist nah genug«, antwortete Meisterin Iggle.
Doch Filine schüttelte den Kopf. »Es ist schon wieder vorbei«, sagte sie.
Wenige Minuten später saßen die drei wieder um den großen Arbeitstisch.
»Und dann?«, fragte No, nachdem Filine ihnen erzählt hatte, was Vater und Sohn gesagt hatten.
»Nauri hat seine Wachsfigur weggeräumt.«
»Und Mahu?«, wollte No wissen. »Ist der gekommen?«
Filine hob die Schultern. »Keine Ahnung. Direkt danach hat sich die Flut wieder zurückgezogen.«
»Sie zeigt immer genau, was sie will«, sagte Rufus. »Vielleicht war sie ja nur für dich sichtbar, weil du die Sprache verstehst.«
»Oder aus einem anderen Grund«, sagte Meisterin
»Aber aus welchem?« No sah fragend in die Runde.
Die Meisterin lächelte. »Meistens findet der Lehrling das selbst heraus. Meistens ist es etwas, das tatsächlich nur er oder sie wissen kann. Etwas, das besonders mit diesem Lehrling zu tun hat.«
»Ich wüsste nicht,
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