Die Knochenleserin
erschöpft auf seinem Stuhl zurück. »Es ist nicht sie, die es trifft. Es würde ihr nicht viel ausmachen, wenn es so wäre. Wenn sie unter extremer emotionaler Spannung steht, ist es manchmal gefährlich für sie, jemanden anzufassen.«
»Inwiefern?«
»Megan ist nicht nur ein Zuhörer. Während der vergangenen Monate hat sie eine weitere mediale Fähigkeit an sich entdeckt.« Er lächelte gequält. »Allerdings betrachtet sie es eher als einen Fluch. Sie hat herausgefunden, dass sie eine Pandora ist.«
»Pandora?«
»Man könnte es auch Überträgerin nennen. Sie kann bei anderen Menschen verborgene mediale Talente freisetzen. Sie weiß eigentlich nicht genau, wie es funktioniert, aber sie glaubt, es wird ausgelöst durch extrem starke Gefühle, und es passiert nur, wenn sie die Leute berührt. Deshalb praktiziert sie derzeit auch nicht als Ärztin. Sie kann das Risiko nicht eingehen.«
»Welches Risiko?«
»Manche Menschen können es nicht akzeptieren, wenn dieses Talent bei ihnen freigesetzt wird. Sie können nicht damit umgehen.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Es hat schon … Todesfälle gegeben.«
Eve schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist doch völlig verrückt. So etwas habe ich noch nie gehört.«
»Megan auch nicht. Stellen Sie sich mal vor, wie sie sich dabei fühlt.«
»Ich muss es mir vorstellen«, sagte sie, »denn glauben kann ich es nicht.«
Phillip zuckte die Achseln. »Das ist Ihr gutes Recht. Sie haben mich gefragt, ich habe Ihnen geantwortet. Aber ist das weniger glaubhaft als die Tatsache, dass sie ein Zuhörer ist? Das haben Sie doch offenbar akzeptiert.«
»Das ist … etwas anderes.«
»Weil Sie es einmal hautnah miterlebt haben und das Ergebnis gesehen haben. Sie hatte gehofft, Sie müssten gar nicht erst erfahren, dass sie eine Pandora ist. Aber Sie haben sie berührt, und das bedeutet, dass wir uns vorsehen müssen.«
»Wollen Sie damit sagen, ich könnte davon sterben?«
»Ich kann nur sagen, dass in zwei Fällen die entsprechenden Personen wahnsinnig geworden und schließlich gestorben sind. In einem anderen Fall hatte der Kontakt keine negativen Auswirkungen, und der Betroffene scheint mit seiner Gabe umgehen zu können.« Er verzog das Gesicht. »Auch wenn er sich wünscht, es wäre nie passiert, und er könnte so leben wie früher.«
»Und das alles ist nur passiert, weil diese Personen eine Pandora berührt haben?«
»Megan glaubt, dass das der Auslöser ist. Sie ist sich nicht hundertprozentig sicher. Wie gesagt, das ist alles sehr neu für sie. Sie weiß noch nichts über die genaueren Umstände. Das Talent trat zutage, nachdem sie die Betreffenden in einer intensiven emotionalen Situation berührt hatte. Anfangs hat sie sich dagegen gesträubt, dass sie diejenige sein sollte, die dafür verantwortlich war.«
»Das täte ich auch.«
Phillips Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Weil Sie ihr möglicherweise sehr ähnlich sind. Megan war immer eine praktisch veranlagte und vernunftbetonte Frau. Dann wurde ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Aber sie versucht, wieder in ihre alte Spur zurückzufinden. Sie war gern Ärztin. Es bringt sie um, nicht praktizieren zu können. Dass sie es dennoch nicht tut, zeigt, wie groß ihre Angst ist, sie könnte ihren Patienten Schaden zufügen.«
»Es muss eine andere Erklärung dafür geben.«
»Ich kann nur hoffen, dass wir sie finden werden. Aber bis dahin bleiben Sie möglichst in der Nähe, sodass ich ein Auge auf Sie haben kann.«
»Um zu sehen, ob ich durchdrehe?«, fragte sie trocken. »Und was für eine großartige mediale Gabe werde ich Ihrer Meinung nach entwickeln?«
Er zuckte die Achseln. »Hängt davon ab, welche Art verborgenes Talent in Ihnen schlummert. Telepathie, Gedankenlesen, Heilen. Soweit ich weiß, können einige Medien die Zukunft vorhersehen, mit den Toten kommunizieren und verlorene Dinge wiederfinden.«
»Und Sie halten das alles tatsächlich für möglich?«
»Ich weiß, dass einiges möglich ist. Ich habe selbst von den Vorzügen eines dieser Talente profitiert.«
»Und von welchem?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe versprochen, nicht darüber zu reden.«
»Wie praktisch.« Ihr Blick wanderte zu Megans Gesicht. Lieber Gott, lass sie ihr Bewusstsein wiedererlangen. »Und wie lange soll ich unter dieser Überwachung stehen?«
»Ich weiß nicht. Soweit ich weiß, werden bei einigen Betroffenen die Talente sofort freigesetzt, während es bei anderen mit
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