Die Knochenleserin
ich möchte auf keinen Fall, dass er sich Miguel aufs Korn nimmt, weil er mich nicht kriegen kann. Ich will ihn in meiner Nähe haben.«
Er hatte recht, dachte Eve. Kistle würde jeden töten, der ihm vor die Flinte kam, wenn er sich um seine eigentliche Beute betrogen fühlte. »Das wird Miguel bestimmt gefallen. Er ist schon lange wild darauf, Jagd auf Kistle zu machen. Wir sehen uns also in ein paar Stunden.« Sie legte auf und ging wieder auf die Veranda, wo Joe in der Schaukel saß, Toby zu seinen Füßen. »Er kommt heute Abend und bringt Miguel mit. Sie wollen im Wald zelten.«
»Gut so. Ich kann nicht behaupten, dass es mir gefallen würde, ihn dauernd vor der Nase zu haben.« Er schaute zum Wald hinüber. »Zumindest kann er zu deinem Schutz beitragen, wenn er da draußen ist.«
Sie setzte sich neben Joe auf die Schaukel. »Jeder möchte mich beschützen, dabei bin ich schuld an alldem. Ändere endlich deine Meinung, Joe. Ich bin weder dumm noch hilflos. Lass mich das allein machen.«
»Kommt nicht in Frage.« Er wandte den Blick von ihr ab. »Lass es mich im Alleingang machen.«
»Auf keinen Fall. Ich habe die Nase voll davon, mich zu verstecken und abzuwarten. Wenn Kistle mich in der Schusslinie haben will, bitte sehr, ich werde da sein.«
»Dann stecken wir in der Sackgasse.«
Eve hatte das Gefühl, als lebten sie schon seit Monaten in diesem Zustand. »Den Eindruck habe ich auch.« Sie berührte zögernd seine Hand. »Heißt das für dich, dass du mich nicht mehr im Arm halten willst? Für mich heißt es das jedenfalls nicht.«
»Nein«. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Ich würde dich immer im Arm halten wollen, selbst wenn du mich in die Hölle führen würdest. Denn wenn du dort wärst, würde ich auch da sein wollen.«
Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Manchmal denke ich, dass ich dich tatsächlich dahin führe«, sagte sie unsicher. Das Gefühl zwischen ihnen war Liebe, aber auch quälende Traurigkeit. Sie wollte ihn halten, berühren und beschützen. »Und wenn du umkehren willst, kann ich das jederzeit verstehen.«
»Ich gehe nirgendwohin.« Er starrte immer noch auf den See hinaus. »Und ich werde mit Montalvo zusammenarbeiten, denn wenn ich nicht gerade wütend auf ihn bin, sehe ich ein, dass er mir helfen kann, dein Leben zu schützen.«
»Ich war mir nicht so sicher, ob du dazu bereit sein würdest.«
»Jede Minute, die ich im Clayborne Forest verbracht habe, wusste ich, dass ich gegen die Zeit kämpfe. Mir war klar, dass du aktiv werden würdest, sobald deine Geduld erschöpft wäre. Ob ich Montalvo jedes Mal, wenn ich ihn sehe, am liebsten den Hals umdrehen würde? Ja, verdammt. In der jetzigen Situation kann ich es mir jedoch nicht leisten, mich von meiner Antipathie gegen ihn leiten zu lassen. Von jetzt an muss ich mich voll und ganz auf dich konzentrieren. Und ich würde mich auch auf einen Saddam Hussein oder den Satan persönlich einlassen, wenn die mir dabei helfen könnten.«
»Kein Freundbeschuss?«
»Später vielleicht. Ich garantiere für nichts.« Er nahm sein Handy aus der Tasche. »Aber jetzt will ich erst einmal Jane anrufen und sie davon überzeugen, dass sie auf der anderen Seite des Ozeans bleibt. Ich will nicht, dass sie in diesen Höllenritt verwickelt wird.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Was glaubst du wohl? Ich werde das Blaue vom Himmel herunterlügen.«
Der Anruf von Kistle kam eine Stunde später. »Wirklich, Eve. Sie verderben mir den ganzen Spaß. Ich hatte für Montalvo einen dramatischeren Tod vorgesehen als für Sie und die anderen. Es sollte der spannende Prolog zur zentralen Geschichte werden. Jetzt wird er einfach nur einer von vielen sein.«
»Sie haben schon wieder mein Telefonat belauscht.«
»Ja, natürlich. Überrascht Sie das?«
»Nein, ich habe damit gerechnet. Sie konnten sich denken, dass ich ihn warnen würde.«
»Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie dazu bewegen würde, ihn unter Ihre Fittiche zu nehmen. Andererseits habe ich etwas Wertvolles in Erfahrung gebracht. Quinn und Montalvo stehen offenbar auf Kriegsfuß. Das heißt für mich, teile und herrsche.«
»Verlassen Sie sich nicht darauf.«
»Ich verlasse mich nie auf etwas. Nur so überlebe ich in der Wildnis. Es gibt ein paar grundsätzliche Muster, die sich nie ändern, aber alles andere ist nicht vorhersehbar.«
»Sie eingeschlossen.«
»Mich eingeschlossen. Ich lasse Ihnen morgen ein Geschenk zukommen. Ich
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