Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Nacht dort im Gebet zu verbringen. Am folgenden Tag hatte er nach Louis geschickt und ihn beauftragt, mit einer Kondolenznachricht zu Rudolf zu reisen und vorerst als Gesandter an dessen Hof in Wien zu bleiben. Louis reiste umgehend ab, um den königlichen Befehl ohne Aufschub zu befolgen.
Er legte die gesamte Strecke zu Pferd zurück, begleitet nur von zwei einfachen Bewaffneten, die ebenfalls die weite Strecke reiten mussten. Zwei Diener folgten mit einem Fuhrwerk, um Gepäck, Waffen und sonstige persönliche Habe ihres Herrn nach Österreich zu schaffen.
Gern hätte Louis in Nürnberg haltgemacht, um sich nach Franziska zu erkundigen. Er hatte von Marie und Chalil erfahren, dass sie den Meister der Schneiderei geehelicht hatte und Mutter einer kleinen Tochter namens Katharina war. Natürlich wusste er um ihren Erfolg, schließlich trugen mittlerweile auch viele Adelige in Frankreich Knopfkleider. Der Gedanke an die junge Schneiderin schmerzte noch immer, trotz der Jahre, die seit ihrem letzten Treffen vergangen waren. Er hatte sie so tief verletzt, ungeachtet der eigenen Verzweiflung, die er selbst bei ihrer Trennung empfunden hatte, und er schämte sich seither zutiefst dafür. Die Strafe, die er dafür hatte auf sich nehmen müssen und die er mit grimmiger Geduld ertrug, war ihm nur ein geringer Trost.
Franziska jetzt zu sehen würde wohl nur neuen Schmerz hervorrufen, vielleicht bei ihr, vielleicht bei ihm, wahrscheinlich bei beiden. Schweren Herzens beschloss er daher, Nürnberg zu meiden, und nächtigte in einer Herberge weit außerhalb der Stadt.
Erst in Linz unterbrach er seine Reise für einen Tag, da er zufällig auf Marie und Chalil getroffen war, die auf dem Weg nach Bayern zu dem Sitz Meynhards waren, wo sie auf neue Nachrichten aus Ägypten warten wollten. Sie besprachen seine Lage ausgiebig. Er würde den Befehlen gehorchen, die Rudolf für ihn hatte. Ansonsten blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten. So schwer es Marie fiel, sie sprach mit ihrem Bruder kein Wort über Franziska, und auch Louis brachte das Thema nicht zur Sprache. »Du hast Recht getan, nicht von ihr und dem Kind zu sprechen«, sagte Chalil zu ihr, als sie abends in ihrer Herberge alleine waren. »Es ist ihre Sache, sie müssen einander selbst wiederfinden, wenn sie sich denn finden wollen.«
»Und außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass mein Bruder schließlich verheiratet ist«, seufzte Marie.
Der trauernde Rudolf empfing Louis, der fortan wieder Ludwig hieß, und gliederte ihn umgehend in den herzoglichen Haushalt ein. Er wurde mit der Beaufsichtigung der Grenzsicherung beauftragt und der Niederschlagung kleinerer Aufstände, die es im Herzogtum immer wieder gab. Wenigstens war er wieder ein richtiger Ritter, sagte Ludwig sich jeden Abend, wenn er sich in seiner Kammer zu Ruhe begab.
*
»Ein Brief für Euch«, sagte der Page und reichte ihm ein verschnürtes und versiegeltes Pergament. Ludwig, der gerade seinen heutigen Dienst beendet hatte, nahm es entgegen. Es schien eine wichtige Urkunde zu sein, gewiss kein Brief Chalils oder Maries. Sobald er alleine war, brach er das Siegel und rollte das Schriftstück aus seiner Umhüllung. Es war in der Tat ein offizielles Dokument, ausgestellt von einem Kirchengericht in Paris, verfasst in gut lesbarem Latein und unterfertigt und nochmals gesiegelt von einem Bischof. Er las es mehrmals und langsam. Das Schriftstück besagte, dass seine Ehe annulliert worden war, wegen mangelnder Ehefähigkeit der Braut und eines nichtigen Eheversprechens beider Brautleute. Zudem war, wie eine Untersuchung ergeben hatte, die Ehe nie vollzogen worden und die Braut noch immer virgo intacta. Die Eheleute wurden in den Familien- und Vermögensstand versetzt, den beide vor der Ehe innehatten. Schuldtitel gegeneinander bestanden nicht. Ludwig saß auf seinem Bett und starrte auf das Pergament. Er schämte sich plötzlich wegen seiner Einfältigkeit und Dummheit. Virgo intacta , eine unberührte Jungfrau. Also war er, was die Ehe mit Éléonore betraf, vom ersten Tag an belogen und betrogen worden. Er sah sich selbst, wie er sie zartfühlend und edel wieder und wieder seiner Ritterlichkeit und seiner Geduld versichert hatte und seine eigenen Bedürfnisse nur außerhalb des Ehebettes gestillt hatte. Was bin ich nur für ein Esel, dachte er bitter.
NÜRNBERG Frühling 1306
Bald würde Katharina ihr fünftes Lebensjahr vollenden. Franziska versuchte, sich an ihre eigene frühe Kindheit
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