Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
zu erinnern, die sie mit ihren Eltern in Budweis verbracht hatte. Ihre Mutter war in Gedanken noch immer stets bei ihr, doch die Erinnerung an den so jung verstorbenen Vater war mit der Zeit verblasst, auch wenn sie heute noch manchmal nachts weinen musste, wenn sie an ihn dachte.
Ihre kleine Tochter hingegen vermisste den alten Walram, das spürte sie, auch wenn er nicht ihr leiblicher Vater gewesen war. Wenn Katharina sich unbeobachtet fühlte, setzte sie sich gern auf die Bank vor dem Ofen, die Walrams Lieblingsplatz gewesen war, und erzählte sich selbst die Geschichten, mit denen ihr Stiefvater sie so oft unterhalten hatte. Nun musste auch ihre Tochter ohne Vater groß werden, dachte Franziska traurig.
Franziska vermisste die Verstorbenen, doch es fehlte ihr noch an etwas gänzlich anderem. Sie hatte sich in den letzten Monaten mehrfach dabei ertappt, wie viel Freude es ihr bereitete, wenn ein gut aussehender Mann sich von ihr einkleiden ließ, und sich dann immer besondere Mühe gegeben, ihn stattlich und den Frauenblicken gefällig auszustaffieren. Manchmal haftete ihr Blick auch länger auf dem einen oder anderen schmucken jungen Burschen, den sie zufällig sah. Als sie einmal zufällig einige junge Leute beim Baden in einem Weiher beobachtete, war ihr richtiggehend heiß geworden, zu groß war die Erinnerung an den nackten Körper Ludwigs, den sie damals beim Schwimmen gesehen hatte.
Wo sie auch hinsah, überall schienen junge Frauen mitihren Männern glücklich zu sein. Liebespaare schäkerten heimlich miteinander, stramme junge Kerle warteten auf ihre Mädchen. Selbst auf Marie war sie fast etwas eifersüchtig. Einmal, als sie bei einer Zunftfeier mehr als den üblichen einen Becher Wein getrunken hatte, war sie kurz davor gewesen, in Selbstmitleid darüber zu verfallen, dass sie sich den geheimnisvollen Karl in ihrer Jugend nicht selbst geangelt hatte. Fast wäre sie an diesem Abend auch noch auf die tollpatschigen Annäherungsversuche eines wenig ansehnlichen Witwers hereingefallen, doch um so tief zu sinken, hatte der Wein auch wieder nicht genügt.
In den letzten Jahren hatte sie all ihre Leidenschaft und Hingabe dem Geschäft gewidmet und die ganze Liebe ihres Herzens ihrer Tochter geschenkt. In den Jahren des Aufbaus hatte sie diese Energie gebraucht, um ihre Ziele zu erreichen, doch jetzt, wo sie erfolgreich und eingesessen war, spürte sie, dass es ihr nicht mehr gelingen wollte, erfüllt, ausgeglichen, zufrieden und glücklich zu sein. Sie konnte es drehen und wenden wie sie wollte: Ihr fehlte ein Mann.
Die heutige Abendgesellschaft würde sie ohne Begleitung besuchen: Meynhard hatte ihr eine Einladung zukommen lassen, den Anlass dazu jedoch verschwiegen. Zwar wusste sie, dass der Graf oft und gern Gäste einlud und Gesellschaften gab, doch diesmal hatte er recht geheimnisvoll getan, als er die Freundin und Geschäftspartnerin in sein Stadthaus bat.
Die Abendgesellschaft war außergewöhnlich klein, ganz anders, als man es sonsthin von dem Grafen gewohnt war. Die wenigen Gäste waren fein gekleidet und wie es schien, war der Anlass ein besonders außergewöhnlicher. Chalilund Marie begrüßten Franziska herzlich, und der Graf drückte ihr beide Hände. Der jüngste der Schürstabbrüder, einer der wichtigsten ortsansässigen Geschäftsfreunde, war ebenfalls zugegen und in Begleitung seiner jungen Gemahlin, die wenige Monate nach der Hochzeit schon sichtbare Rundungen zeigte, trotz des geschickt geschnittenen Kleides aus Franziskas Werkstatt. Der jungen Mutter entgingen die neuen Ideen an Franziskas Kleid nicht, weder die bis über die Unterarme eng anliegenden Ärmel noch die in kontrastierenden Farben unterfütterten Falten des Rocks. Sie deutete sofort an, dass ihre Garderobe sicher noch ein weiteres Stück der Meisterin vertragen konnte.
Es war ein kühler Maiabend, sodass Meynhard den großen Kamin in der Halle hatte anzünden lassen, der außer Wärme ein warm flackerndes Licht spendete.
Die Gäste nahmen an der verkleinerten Tafel Platz, und gesüßter Wein wurde gereicht. Noch immer war der Grund der Einladung unbekannt. Der Graf genoss die Spannung sichtlich und betrachtete lächelnd die fragenden Gesichter der Anwesenden. Schließlich ergriff er das Wort.
»Meine lieben Freunde! Ich will Euch nicht zu lange auf die Folter spannen, doch die heutige Feier hat einen triftigen und einmaligen Grund. Ich bin, rundheraus gesagt, ein Mann in einem gewissen Alter, dem es ansteht,
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