Die Köchin und der Kardinal
wir haben in der Gegend die Rote Ruhr und die Pocken. Die Schwestern haben alle Hände voll zu tun, um die Kranken zu versorgen. Im Kloster selbst gibt es nur harmlosere Erkrankungen.«
»Und Ihr helft natürlich mit allen Kräften, nicht wahr, Elisabeth?«
»Ich habe schon im Schloss Baden viel über Wundheilung und Krankenpflege gelernt, und hier lerne ich ebenfalls ständig dazu. Auch, was die Gartenarbeit betrifft.«
»Ist Eure Schwester Agnes dabei?« Der Kardinal räusperte sich. »Ich meine, macht sie sich auch ein wenig nützlich? Oder lässt sie Euch die ganze Zeit rackern und liegt auf der faulen Haut?«
»Nein«, sagte Elisabeth schnell. »Sie geht mir schon seit Wochen zur Hand, im Garten, beim Likörmachen …«
Der Kardinal machte ein besorgtes Gesicht. »Ich will Euch nicht Eure Hoffnungen nehmen, was Eure Schwester betrifft.« Er machte eine Pause, wodurch seine folgenden Worte umso bedeutungsschwerer wurden.
»Eure Schwester hat Euch angelogen, Elisabeth. Angeblich soll ihr Gewalt angetan worden sein, wie sie mir vor einiger Zeit beichtete. Aber die Verletzungen muss sie sich selbst beigebrachthaben. Mutter Regiswind erzählte mir, dass die Wirtsleute des ›Roten Ochsen‹ ihr bei einem Stadtausgang berichtet haben, Agnes habe zwar mit den Söldnern das Gasthaus verlassen, die seien aber nach kurzer Zeit wieder zurückgekehrt, weil sie sich offensichtlich nicht handelseinig mit der jungen Frau werden konnten.«
»Warum haben sie mir das nicht gesagt?«, wollte Elisabeth wissen. Es war, als hätte sich ein weiteres Mal der Boden vor ihren Füßen aufgetan.
»Ihr wart zu schnell wieder draußen«, erwiderte der Kardinal. »Sie haben es Euch noch hinterhergerufen, aber die Sorge um Eure Schwester nahm Euch zu sehr in Anspruch, um es zu hören.«
Elisabeth fühlte sich wie erstarrt. Ihr Blick glitt noch einmal über die Klostermauer zu den Bergen, die drohend und abweisend über dem lieblichen Tal standen.
Sie wollte ihre Schwester sofort zur Rede stellen und fand sie mit den anderen Nonnen beim Brunnen. Elisabeth winkte sie beiseite.
»Du hast mir etwas vorgemacht!«, sagte sie leise. »Dir ist gar nicht Gewalt angetan worden, du hast das alles nur vorgespielt!«
»Und wenn es so wäre?«, fuhr Agnes auf. »Außer dir weiß niemand davon. Und so habe ich wenigstens ein wenig von deinem Mitleid und deiner Aufmerksamkeit bekommen.«
Elisabeth ahnte, welche Abgründe sich in Agnes auftaten, sich vielleicht schon immer verborgen hatten.
»Inzwischen wissen mehr Leute davon«, sagte sie. »Und ich wünsche, Agnes, dass so etwas nie mehr vorkommt! Du bringst uns alle noch zur Verzweiflung!«
»Ich verspreche, so etwas in Zukunft zu unterlassen«, sagte Agnes. »Ich werde brav sein, meine Gebete und meine Arbeit verrichten und keinen Mann mehr ansehen.«
Elisabeth bezweifelte, ob das nicht nur so dahergesagt war. Aber sie ließ es im Augenblick dabei bewenden.
In der nächsten Zeit hatten die Frauen des Klosters alle Hände voll damit zu tun, die Kranken der Umgebung zu versorgen. Gegen die Ruhr hatten sie ein Mittel, das sie aus dem Saft des Mädesüß herstellten. Es gelang ihnen, einige Kranke damit zu heilen oder ihnen wenigstens Linderung zu verschaffen. Gegen Sommerinfluenza gaben sie eine Medizin, die aus Weidenrinde gewonnen wurde. Hauptsächlich die Bauern der Umgebung nahmen gern die Hilfe der Nonnen in Anspruch, aber auch aus der Stadt kamen Menschen, denen die Behandlungsmethoden des Medicus nicht geheuer waren oder denen dessen Arzneien zu teuer waren. So verging der Sommer mit großer Hitze, kurzen, heftigen Gewittern, die das Wasser der Oos über ihre Ufer treten ließen, und neuen Durchzügen von Söldnern. Sie plünderten zwar die Höfe der Bauern, aber das Kloster wagten sie nicht anzugreifen. Die Nonnen und ihre Gäste bestellten die Äcker und den Garten. Elisabeth beendete ihr Kochbuch und illustrierte es selbst. Neue Krankheiten kamen und gingen. Der Kardinal nahm die Beichten ab, hielt Predigten und Totenmessen. In der übrigen Zeit schrieb er Briefe an Gelehrte und beobachtete nachts den Sternenhimmel mit seinem Teleskop. Nach einem letzten heftigen, lang andauernden Gewitter kam der Herbst mit kühleren Tagen. Die Luft war seidig, Altweibersommerfäden glitten durch die Luft, die Äpfel, Birnen und Pflaumen waren reif und mussten geerntet werden. Elisabeth fühlte sich zunehmend wohler und verlor ihre Ängste. Auch Agnes blühte auf. So vergingen ein weiterer Winter
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