Die Köchin und der Kardinal
Mägde in der Nachbarschaft dabei beobachtet, wie sie mit den Knechten oder Bürgersöhnen mitgingen. Einige Monate später hatten sie einen dicken Bauch bekommen. Meist konnten sie nicht bei ihren Dienstherren bleiben. Was wohl aus ihnen geworden war? Elisabeth wollte es nicht zu Ende denken.
Agnes war in den darauffolgenden Tagen sehr still und blass. Sie aß wenig und sonderte sich noch mehr von der Gemeinschaft ab. Sie schien vor irgendetwas große Angst zu haben. Der April kam, an den Bäumen zeigten sich die ersten zartgrünen Blätter. Die Obstbaumwiesen zwischen dem Kloster und der Stadt waren mit einem rosaweißen Glanz überzogen, in den Wäldern zeigten sich massenhaft gelbe Anemonen und Leberblümchen. Der Kuckuck rief, die Lerchen sangen hoch in der Luft. Die Lieblichkeit der Landschaft taute wohl auch Agnes etwas auf, denn sie zeigte sich wieder häufiger in den Mußestunden und an den Sonntagen, an denen die Nonnen Ausgang hatten. Elisabeth ließ ihre Schwester kaum mehr aus den Augen. Sie ging mit ihr auf den Wiesenwegen unweit des Klosters spazieren. Dabei sprachen sie über ihre Jugend in Calw, über die Eltern, den Bruder, und was sie sich vom Leben noch erhofften.
»Ich erhoffe mir eigentlich nichts mehr«, meinte Agnes. »Nach meiner Schändung – Gott hat gegeben, dass sie ohne Folgen war – will mich gewiss niemand mehr zur Frau haben.«
»So darfst du nicht denken, Agnes«, widersprach ihr Elisabeth. »Du hast viele Tugenden, und im Kloster hast du einiges gelernt.«
»Du denkst, dass ich selbst schuld war an dem … ›Ereignis‹, nicht wahr?«, fragte Agnes.
»Nun ja.« Elisabeth überlegte. »Eigentlich fühle ich mich schuldig, weil ich dir nicht verboten habe, mit den Männern mitzugehen.«
»Ich bin doch groß genug, um das zu entscheiden. Ich wollte einfach nur beachtet werden, wollte, dass mich jemand liebhat!« In ihren Augen standen wieder Tränen.
»Aber ich habe dich doch lieb, Agnes«, sagte Elisabeth, blieb stehen und umarmte ihre Schwester. »Unsere Eltern haben dich lieb. Die Nonnen im Kloster mögen dich. Du musst nur ein wenig mehr auf andere zugehen.«
»Wie kann ich das, wenn ich nicht weiß, ob sie mich mögen?«
»Wenn du es nicht ausprobierst, wirst du es niemals erfahren!«
»Wissen die anderen, weiß Mutter Regiswind, weiß der Kardinal von dem, was geschehen ist?«
»Nein, ich habe niemandem etwas erzählt«, antwortete Elisabeth.
»Es ist so schön geworden«, fuhr Agnes fort. Sie blickte über die Landschaft zu den Bergen hinüber. Dunkel hoben sich die Tannen und die roten Felsen von den grünen Talauen ab.
»Möchtest du mit mir im Garten arbeiten?«, fragte Elisabeth ihre Schwester.
»Das würde ich gern tun, Elisabeth. Das lenkt mich von meinen trüben Gedanken ab.«
Mutter Regiswind stimmte zu, ohne nach dem Grund der Veränderung zu fragen. Wahrscheinlich hatte sie ebenfalls bemerkt, dass Agnes abgenommen hatte, blass und still durch die Tage ging. So nahm Elisabeth Agnes nach Verrichtung der Gebete und Andachten mit hinaus in den Garten. Sie jäteten das aufschießende Unkraut, düngten die Beete mit Kompost, säten Kohl, Kräuter, Möhren, Kapuzinerkresse und Ringelblumen aus. Sie häufelten und hackten, gruben und pflanzten. Im Mai kamen Fenchel, Kürbisse, Sellerie, Sonnenblumen und Tagetes hinzu. Das Saatgut hatten die Ordensschwestern im Vorjahr gewonnen. Agnes lebte allmählich wieder auf.
An einem Sonntag ging Elisabeth mit dem Kardinal in den Garten, während Agnes und die anderen Schwestern im Hof um den Brunnen herum saßen und plauderten.
Rote Tulpen und Hyazinthen blühten auf den Beeten.
»Es freut mich, dass es Agnes wieder besser geht«, sagte der Kardinal. »Ist irgendetwas geschehen, das sie so krank gemacht hat?«
»Sie leidet immer noch unter den Folgen des Angriffs in Calw«, versuchte Elisabeth ihn zu beschwichtigen.
»Ich hoffte, Euch ein wenig den Vater ersetzen zu können und auch den Bruder«, meinte der Kardinal.
»Das habt Ihr auch getan, Herr Weltlin. Ohne Euch wüsste ich nicht, wo wir jetzt wären.«
»Wie weit seid Ihr mit Eurem Kochbuch?«, wollte der Kardinal wissen.
»Es ist zur Hälfte fertig«, antwortete Elisabeth. »Aber es kommen täglich neue Rezepte hinzu, die ich mir kurz auf Papier notiere und später übertrage. Doch wir haben auch noch andere Aufgaben.«
»Die Seuchen, die jetzt im Sommer wieder um sich greifen?«
»Ja, zum Glück ist die Pest diesmal nicht bis hierher vorgedrungen. Aber
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