Die Köchin und der Kardinal
Essens wurde wie üblich nicht gesprochen, ein Mönch las aus der lateinischen Bibel vor. Später wollte Agnes sich auf ihre Zelle zurückziehen, Elisabeth und der Kardinal brachen zu einem Spaziergang zum Fluss hinunter auf. In den Gassen der Stadt stand noch die Hitze des Tages. Der Münsterplatz war voller Menschen, die soeben aus der Kirche gekommen waren. Sie strömten in die Gartenwirtschaften, die Zwiebelkuchen, Wein und Bier anboten. Elisabeth staunte über die schönen Kleider der Damen und über die feinen Tuche der Herren. Daneben gab es aber auch Bettler, hohlwangige Kinder, Kriegsverletzte mit Arm- und Beinstümpfen.
»Dieser unselige Krieg geht weiter und weiter«, wandte sich der Kardinal an sie. »Jetzt geht Bernhard von Sachsen-Weimar nach Rheinau, um Oberst von Werth zu schlagen. Wenn er nur nicht in sein Verderben rennt!«
»Können wir denn gar nichts tun?«, fragte sie.
»Diese Frage habe ich mir in letzter Zeit immer öfter gestellt«, antwortete der Kardinal.
Sie waren an einem der Kanäle angelangt und überquerten ihn auf einer gebogenen Steinbrücke. Jenseits des Kanals war ein Weg angelegt, mit Kastanien und Linden bestanden. Sie schritten im Schein der untergehenden Sonne nebeneinander her. Auf der anderen Seite, zum Rhein hin, stand die mächtige Stadtmauer.
»Und ich glaube, ich habe einen Weg gefunden. Die Menschen werden von der Kirche unwissend gehalten. Da die Lutherbibel verboten ist, muss man sie nur oft genug abschreiben oder drucken lassen, damit sie sich unter dem Volk verbreitet.«
»Aber sie ist ein verbotenes Buch!«, rief Elisabeth und schaute sich gleich darauf erschrocken um. Aber es war niemand in der Nähe.
»Das ist sie, in der Tat«, bestätigte der Kardinal. »Was umso mehr Grund ist, sie unter die Leute zu bringen!«
»Kardinal Richelieu hat Euch die Bibel abgenommen und Euch und uns zum Tross von Bernhard geschickt«, sagte Elisabeth. »Ihr habt doch gar nichts mehr, was Ihr unter die Leute bringen könntet.«
Der Kardinal griff in seine Soutane und holte ein Buch mit Ledereinband hervor.
»Eine protestantische Bibel!«, staunte Elisabeth. »Wo habt Ihr die denn her, Herr Weltlin?«
»Ich habe sie einem calvinistischen Bauern im Burgund abgekauft«, versetzte der Kardinal. »Und während unserer Reise im Tross habe ich sie schon zweimal abgeschrieben. Hier in Straßburg könnten wir sie drucken lassen.«
Sie hatten inzwischen eine weitere Brücke erreicht, über die sie in die Stadt zurückkehrten.
»Hier in Straßburg brauchen wir übrigens kein so großes Geheimnis aus der Lutherbibel zu machen. Zwar gilt immer noch das Verbot, doch dagegen, sie einfach nur zu drucken, gibt es kein Gesetz. Warum sollten wir nicht dieses wunderbare Werk unter die Leute bringen? Es kann nie genug davon geben!«
Elisabeth wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. »Glaubt Ihr wirklich, dass sich dadurch für die Menschen etwas ändern würde? Oder dass der Krieg dadurch beendet werden könnte?«
Der Kardinal blieb stehen und schaute ihr ins Gesicht.
»Nein, das glaube ich nicht, Elisabeth. Aber die Menschen würden mehr wissen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen.«
»Fürchtet Ihr nicht die römische Inquisition?«
»Ich glaube, das ist heute vergessen. Wir haben nichts mehrzu befürchten. Selbst der Abt meines Klosters steht den protestantischen Ideen wohlwollend gegenüber.«
»Und wo wollt Ihr die Bücher drucken lassen?«
»Es gab hier in Straßburg einen Buchdrucker mit Namen August Mentel. Er war Gehilfe von Johannes Gutenberg in Mainz und hat dort den Buchdruck erlernt. Aus seiner Offizin ging eine ganze Reihe meisterhafter Druckwerke hervor. Er war auch Buchhändler, besuchte die Messe in Frankfurt und verschickte gedruckte Zettel, auf denen er seine Werke anpries. Inzwischen ist er längst gestorben und die Offizin verkauft, aber auch heute noch wird im Hause ›Zum Tiergarten‹ in der Nähe des Fronhofs gedruckt.«
»Darf Agnes davon wissen?«
»Wir werden es ihr nicht verheimlichen können«, sagte Weltlin mit einem Seufzer. »Grundsätzlich weiß sie ja sowieso Bescheid.«
Eine Gruppe angetrunkener junger Männer kam lärmend auf sie zu und hätte sie fast angerempelt. Im letzten Moment konnten sie ihnen ausweichen. Die Gassen wurden jetzt wieder belebter, es roch nach Zwiebelsud und Urin. Sie überquerten den Domplatz, der sich noch mehr gefüllt hatte. Zu Hause begab Elisabeth sich sofort auf ihr Zimmer. Was sie Agnes erzählen
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