Die Königin der Weißen Rose
Turnierplatz seinen Mut erproben. Er muss Angst kennenlernen, ihr ins Gesicht sehen und direkt auf die Gefahr zureiten. Er muss ein tapferer König werden, kein ängstlicher. Ich würde euch beiden einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich ihn von jeder gefährlichen Situation fernhielte und ihm beibrächte, Angst vor der Gefahr zu haben.»
«Ich weiß, ich weiß», erwidere ich. «Er ist mir nur so kostbar …»
«Wir sind alle kostbar», erklärt Anthony. «Und unser aller Leben ist voller Gefahren. Ich bringe ihm bei, jedes Pferd im Stall zu reiten und sich ohne Zittern einem Kampf zu stellen. Damit tue ich ihm einen größeren Gefallen, als wenn ich ihn nur auf ruhige Pferde setzen und ihn vom Turnierplatz fernhalten würde. Und jetzt zu bedeutend wichtigeren Angelegenheiten: Was wirst du mir zu Weihnachten schenken? Wirst du das Baby nach mir nennen, falls es ein Junge wird?»
Der Hof bereitet sich mit der gewohnten Extravaganz auf das Weihnachtsfest vor, und Edward bestellt für alle Kinder und uns neue Gewänder. Solchen Prunk erwartet die Welt von Englands stattlicher Königsfamilie. Ich verbringe jeden Tag etwas Zeit mit dem kleinen Prinzen Edward. Ich lausche seinen Gebeten, bevor er zu Bett geht, und sitze gern an seinem Bett, wenn er schläft. Jeden Tag lasse ich ihn zum Frühstück in meine Gemächer kommen. Er ist ein ernster, nachdenklicher kleiner Junge, und er bietet mir an, mir auf Latein, Griechisch oder Französisch vorzulesen, bis ich gestehen muss, dass seine Gelehrsamkeit die meine bei weitem übersteigt.
Er ist geduldig mit seinem kleinen Bruder Richard, der ihn abgöttisch liebt und ihm unbeirrbar auf Schritt und Tritt folgt, und er ist zärtlich zu Baby Anne, wenn er sich über ihre Wiege beugt und ihre kleinen Hände bewundert. Jeden Tag ersinnen wir ein Spiel oder eine Maskerade, gehen jagen und genießen ein üppiges Festmahl mit Tanz und Unterhaltung. Die Leute sagen, die Yorks haben einen zauberhaften Hof, ein zauberhaftes Leben, und ich kann es nicht leugnen.
Nur einer wirft einen Schatten auf die vorweihnachtlichen Tage: George, der Herzog der Enttäuschung.
«Ich finde tatsächlich, dein Bruder wird mit jedem Tag sonderbarer», beschwere ich mich bei Edward, als er in meine Gemächer im Westminster Palace kommt, um mich zum Abendessen zu geleiten.
«Welcher?», fragt er müßig. «Denn du weißt doch, dass ich in den Augen des einen wie des anderen nichts richtig machen kann. Man sollte meinen, sie wären froh, einen York auf dem Thron zu haben. Es herrscht Frieden in der Christenheit, und wir feiern eines der schönsten Weihnachtsfeste überhaupt. Aber nein: Richard verlässtden Hof, sobald das Fest vorbei ist, und geht zurück in den Norden, um seiner Empörung darüber Ausdruck zu verleihen, dass wir nicht gegen Frankreich in den Krieg ziehen, und George hat einfach grundsätzlich schlechte Laune.»
«Es ist Georges schlechte Laune, die mir Sorgen bereitet.»
«Warum, was hat er jetzt wieder angestellt?», fragt er.
«Er hat seinem Diener erklärt, er werde nichts essen, was ihm von unserem Tisch geschickt wird», sage ich. «Er hat ihm erklärt, er würde nur allein speisen, in seinem Zimmer, nachdem wir anderen unsere Mahlzeit eingenommen haben. Sollten wir ihm als Geste der Höflichkeit ein Gericht zum Probieren auf sein Zimmer schicken, wird er es ablehnen. Er will es als offene Beleidigung an uns zurückgehen lassen. Er will mit einem leeren Teller vor sich an der Tafel sitzen, und er will auch nichts trinken. Edward, du musst mit ihm reden.»
«Wenn er sich weigert, etwas zu trinken, ist das mehr als eine Beleidigung, es ist ein Wunder!» Edward lächelt. «George kann doch kein Glas Wein ausschlagen, und wenn es vom Teufel persönlich käme.»
«Es ist nicht zum Lachen, wenn er unser Fest nutzt, um uns zu beleidigen.»
«Ja, ich weiß. Ich habe mit ihm gesprochen.» Er wendet sich zu dem Gefolge von Lords und Ladys um, die hinter uns eine Schlange bilden. «Gebt uns einen Augenblick», sagt er und zieht mich in eine Fensternische, wo wir uns ungestört unterhalten können. «In Wirklichkeit ist es noch viel schlimmer, als du glaubst, Elizabeth. Ich fürchte, er streut Gerüchte gegen uns.»
«Welcher Art?», frage ich. Georges Groll gegenüber seinem älteren Bruder hat sich durch seine fehlgeschlageneRebellion und Edwards Vergebung nicht gelegt. Ich hatte gehofft, George würde sich damit zufriedengeben, einer der beiden mächtigsten Herzöge Englands zu
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