Die Königin der Weißen Rose
sich selbst und uns. Er streut seine üblen Nachreden großzügig. Er scheut sich nicht, uns alle zu verleumden. Mich nennt er eine Hexe, aber dich nennt er eine Hure.»
«Ich glaube nicht, dass er so etwas sagt», gibt sie entschieden zurück.
«Doch, Mutter, das tut er», wirft Edward ein. «Und er beleidigt Elizabeth und mich.»
Sie sieht aus, als fände sie das nicht weiter schlimm.
«Mit seinen Verleumdungen untergräbt er das Haus York», sage ich. «Und er hat einen Hexenmeister angeheuert, der dem König nach dem Leben trachten sollte.»
«Er ist dein Bruder, du musst ihm vergeben», erklärt sie.
«Er ist ein Verräter, er muss sterben», erwidere ich schlicht. «Was sonst? Wie kann ein Anschlag auf das Leben des Königs vergeben werden? Würde das besiegte Haus Lancaster es dann nicht auch versuchen? Oder die Spione aus Frankreich? Warum sollte nicht irgendein Abschaum von der Landstraße mit einem Messer auf deinen wunderbaren Sohn losgehen?»
«George hat eine Enttäuschung erlebt», sagt sie zu Edward und ignoriert mich vollkommen. «Hättest du ihn das Burgunder Mädchen heiraten lassen oder die schottische Prinzessin, wäre das alles nicht passiert.»
«Ich konnte ihm nicht trauen», sagt Edward nur. «Mutter, ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass er, wenn er sein eigenes Königreich gehabt hätte, in meines eingefallen wäre. Wenn er ein eigenes Vermögen gehabt hätte, hätte er es nur dazu benutzt, mir mit einer Armee den Thron streitig zu machen.»
«Er wurde zu Großem geboren.»
«Er wurde als zweiter Sohn geboren», widerspricht Edward, der sich schließlich dazu aufrafft, ihr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. «Er kann England nur regieren, wenn
ich
sterbe, wenn mein erstgeborener Sohn und Erbe stirbt, mein zweiter Sohn Richard
und
mein neugeborener Sohn George. Wäre dir das lieber, Mutter? Wünschst du, ich sei tot und meine drei geliebten Söhne mit mir? Sosehr liegt dir George am Herzen? Wünschst du mir solches Übel wie sein Hexenmeister? Wirst du jemanden dingen, der mir gemahlenes Glas ins Essen streut und Fingerhutpulver in meinen Wein?»
«Nein», sagt sie. «Nein, natürlich nicht. Du bist der Sohn deines Vaters und sein Erbe, und der Thron gebührt dir. Auf dich folgt dein Sohn. Aber George ist auch mein Sohn. Ich fühle mit ihm.»
Edward knirscht mit den Zähnen und schluckt eine schnelle Antwort herunter, dann dreht er sich zum Kamin und bleibt schweigend, mit herabhängenden Schultern davor stehen. Wir warten still, bis der König schließlich spricht. «Alles, was ich für euch beide tun kann, ist, ihm die Wahl der Todesart zu überlassen. Er muss sterben, aber wenn er einen französischen Schwertkämpfer haben will, werde ich nach einem schicken. Es muss nicht der Scharfrichter sein. Wenn er will, kann es auch Gift sein, das kann er allein nehmen. Es kann ein Dolch sein, der ihm mit dem Abendessen serviert wird, er kann es selbst tun. Und er wird allein sein: Es wird keine Menschenmenge geben, nicht einmal Zeugen. Wenn er möchte, kann er es in seinem Zimmer im Tower tun. Er kann sich ins Bett legen und sich die Pulsadern aufschneiden. Es wird niemand da sein, außer – wenn er will – einem Priester.»
Sie keucht. Das hat sie nicht erwartet. Ganz ruhig betrachte ich die beiden. Auch ich hätte nicht gedacht, dass Edward so weit gehen würde.
Sie ist kalkweiß. «Du wirst ihm vergeben.»
«Du siehst doch, dass ich das nicht kann.»
«Ich befehle es. Ich bin deine Mutter. Du wirst mir gehorchen.»
«Ich bin der König. Er kann sich nicht gegen mich stellen. Dafür muss er sterben.»
Sie geht einmal um mich herum. «Das ist dein Werk!»
Ich breite die Hände aus. «George hat sich selbst die Schlinge um den Hals gelegt, Frau Mutter. Du kannst weder mir noch Edward die Schuld dafür geben. Er lässt dem König keine Wahl. Er ist ein Hochverräter, eine Gefahr für uns und unsere Kinder. Du weißt, was mit Thronräubern geschieht. So ist es im Hause York.»
Sie schweigt, geht zum Fenster und lehnt die Stirn an das kalte Glas. Ich sehe ihren Rücken und die starre Haltung ihrer Schultern und frage mich, wie es ist, wenn man weiß, dass der eigene Sohn sterben muss. Ich hatte ihr damals versprochen, sie würde den Schmerz einer Mutter verspüren, die ihren Sohn verliert. Jetzt sehe ich ihn.
«Das ertrage ich nicht», sagt sie gequält. «Er ist mein Sohn, mein Lieblingssohn. Wie kannst du ihn mir nehmen? Lieber wäre ich tot, als diesen Tag zu erleben.
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