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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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ausübte oder über ihre eigenen ehrgeizigen Pläne lachte, hatte man keine Angst mehr. Mein Gatte lebte im Exil und plante seine Rückkehr. Ich habe nie an seiner Rückkehr gezweifelt. Ich habe nie an seinem Sieg gezweifelt. Ich wusste ja, dass er nie eine Schlacht verlor. Dass er siegreich sein und uns retten würde. Dass es harte Zeiten waren, ich aber auf bessere hoffen durfte.
    Jetzt sind wir wieder hier, doch dieses Mal fällt es mir schwer zu hoffen. Es ist Frühsommer, und diese Jahreszeit war mir immer schon die liebste mit ihren Picknicks, Turnieren und Festen. Die Düsternis der Krypta bedrückt uns. Es ist, als wären wir lebendig begraben. Tatsächlich haben wir wenig Grund zum Hoffen. Mein Junge ist in Feindeshand, meine Mutter verstorben, wie auch mein Gemahl. Kein gutaussehender, großer Mann wird an die Tür hämmern, das Licht verdunkeln, wenn er eintritt, und mich beim Namen nennen. Mein Sohn, damals noch ein Baby, ist jetzt zwölf und in der Hand des Feindes. Meine Tochter Elizabeth, die zu jener Zeit so niedlich mit ihren Schwestern spielte, ist jetzt siebzehn. Sie wendet mir ihr blasses Gesicht zu und fragt mich, was wir tun werden. Als wir das letzte Mal gewartet haben, wussten wir, wenn wir nur überleben würden, käme Rettung. Dieses Mal gibt es keine Gewissheiten.
    Fast eine Woche sitze ich lauschend neben der Klappe in der Eingangstür. Von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung spähe ich durch das Gitter und versuche zu hören, was die Leute tun, was für Geräusche auf den Straßen sind. Wenn ich mich von der Tür abwende, gehe ich zum Fenster und blicke den vorüberfahrenden Booten auf dem Fluss nach, warte auf die königliche Barke, horche auf Melusine.
    Jeden Tag schicke ich meine Boten aus nach Neuigkeiten von meinem Bruder und von meinem Sohn. Sie sollen mit den Lords sprechen, die sich erheben müssten, um uns zu verteidigen, deren Truppen sich für uns bewaffnen sollten. Und am fünften Tag ist es so weit: ein anschwellender Lärmpegel, jubelnde Lehrlinge und darunter ein anderes Geräusch, ein tieferer Ton, Buhrufe. Ich höre das Klirren von Rüstungen und den Hufschlag unzähliger Pferde. Es ist die Armee von Richard of Gloucester, dem Bruder meines Gatten, dem er unsere Sicherheit anvertraut hat. Und die Hauptstadt meines Gemahls bereitet ihm einen gemischten Empfang. Wenn ich mich aus dem Fenster lehne, kann ich um den Westminster Palace eine Kette von Booten sehen. Eine schwimmende Barrikade, die uns zu Gefangenen macht. Niemand kann herein oder hinaus.
    Ich höre das Rasseln eines Kavallerieangriffs und Geschrei. Ich frage mich: Wenn ich die Stadt gegen ihn bewaffnet und ihm sofort den Krieg erklärt hätte, hätte ich ihm dann Widerstand leisten können? Doch dann denke ich: Und was wäre mit meinem Sohn Edward in seinem Gefolge? Was wäre mit meinem Bruder Anthony und meinem Sohn Richard Grey, die als Unterpfand für mein gutes Verhalten als Geiseln gehalten werden? Und doch: Vielleicht habe ich gar nichts zu befürchten. Ich weiß es einfach nicht. Mein Sohn ist entweder ein junger König, der mit allen Ehren zur Krönung geleitet wird, oder ein entführtes Kind. Ich weiß nicht mit Gewissheit, was von beidem.
    Ich gehe zu Bett, und diese Frage hämmert in meinem Kopf. Ich lege mich in meinen Kleidern nieder, doch ich schlafe nicht. Irgendwo, nicht weit von mir entfernt, liegt auch mein Sohn heute Nacht schlaflos wach. Ich bin gepeinigtund ruhelos, ich will bei ihm sein, ich will ihn sehen, will ihm versichern, dass er bei mir wieder sicher sein wird. Als Tochter von Melusine kann ich nicht glauben, dass ich mich nicht durch die Gitterstäbe des Fensters quetschen und einfach zu ihm schwimmen kann. Er ist mein Junge: Vielleicht hat er Angst, vielleicht ist er in Gefahr. Wieso kann ich nicht bei ihm sein?
    Doch ich muss still liegen bleiben und darauf warten, dass sich der Himmel vor den kleinen Fensterscheiben von Tiefschwarz zu Grau tönt, bevor ich mir gestatte aufzustehen. Ich gehe zur Tür der Krypta, öffne die Klappe vor dem Türgitter und blicke hinaus auf die ruhigen Straßen. Da wird mir deutlich, dass sich niemand bewaffnet hat, um meinen Sohn Edward zu schützen, niemand ihm zur Rettung kommen, niemand mich befreien wird. Sie mögen den Lord Protector ausgebuht haben, als er am Kopf seines Zuges einmarschiert ist, meinen Sohn im Gefolge, sie mögen einen kleinen Aufstand angezettelt und ein, zwei Raufereien ausgetragen haben, aber sie bewaffnen sich an

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