Die Königin der Weißen Rose
weiter in mein Asyl einzutreten, und bleibt auf der kalten Türschwelle stehen. Sie stellt den Korb ab, den sie wie eine Küchenmagd hergetragen hat. Mit einem raschen Blick erfasse ich gekochten Schinken und gebratenes Huhn.
«Ich komme von Sir William Hastings. Er lässt Euch grüßen und versichert Euch seiner Treue», sprudelt es aus ihr hervor.
«Oh, hast du das Pferd gewechselt? Bist du jetzt seine Hure?»
Sie sieht mir direkt ins Gesicht, und angesichts ihrer stolzen Schönheit muss ich um ein Haar nach Luft schnappen. Sie hat graue Augen und blondes Haar. Sie sieht aus wie ich vor zwanzig Jahren. Sie sieht aus wie meine Tochter Elizabeth of York: eine kühle englische Schönheit, eine Rose Englands. Ich könnte sie dafür hassen, aber ich tue es nicht. Wenn Edward vor zwanzig Jahren verheiratet gewesen wäre, wäre ich nicht besser gewesen als sie. Vielleicht wäre ich letzten Endes doch seine Hure geworden, wenn ich ihn nicht anders hätte haben können.
Mein Sohn Thomas Grey tritt aus den Schatten der Krypta hinter mir und verbeugt sich, als wäre sie eine Lady. Sie schenkt ihm ein schnelles Lächeln, als seien sie gute Freunde, die sich wortlos verstehen.
«Ja, jetzt bin ich Sir Williams Hure», stimmt sie mir ruhig zu. «Der verstorbene König hat meinen Gemahl ins Ausland geschickt und unsere Ehe annulliert. Meine Familie nimmt mich zu Hause nicht mehr auf. Jetzt, da der König tot ist, bin ich schutzlos. Sir William Hastings hat mir einHeim angeboten, und ich bin froh, bei ihm ein gewisses Maß an Sicherheit zu genießen.»
Ich nicke. «Und?»
«Er hat mich darum gebeten, seine Botin zu sein. Er kann nicht selbst zu Euch kommen, er fürchtet Herzog Richards Spione. Aber er lässt Euch ausrichten, dass Ihr die Hoffnung nicht aufgeben sollt und dass er glaubt, alles werde sich noch zum Guten wenden.»
«Und warum sollte ich dir vertrauen?»
Thomas tritt vor. «Hör auf sie, Frau Mutter», sagt er freundlich. «Sie hat deinen Gemahl wirklich geliebt, und sie ist eine ehrenwerte Dame. Sie würde dir keinen falschen Rat erteilen.»
«Du gehst hinein», fahre ich ihn barsch an. «Ich werde allein mit dieser Frau fertig.» Ich wende mich an sie. «Dein neuer Beschützer ist mein Feind, seit ich ihm das erste Mal unter die Augen gekommen bin», erkläre ich grob. «Ich sehe nicht, warum wir jetzt Freunde sein sollten. Er hat dafür gesorgt, dass Herzog Richard jetzt hier ist, und er unterstützt ihn weiterhin.»
«Er wollte den jungen König verteidigen», entgegnet sie. «Er hat einzig und allein an die Sicherheit des jungen Königs gedacht. Er möchte, dass Ihr dies wisst und dass er glaubt, alles werde sich zum Guten wenden.»
«Ach, wirklich?» Ich bin beeindruckt, der Botin zum Trotz. Hastings ist meinem Gemahl treu, im Tod wie im Leben. Wenn er glaubt, dass sich alles zum Guten wendet, und wenn er von der Sicherheit meines Sohnes überzeugt ist, dann kann vielleicht wirklich alles gut werden. «Was macht ihn so zuversichtlich?»
Sie kommt etwas näher, damit sie flüstern kann. «Der junge König wurde im Bischofspalast untergebracht», berichtet sie. «Hier ganz in der Nähe. Aber der Kronrat hatsich einstimmig dafür ausgesprochen, dass er die königlichen Gemächer im Tower beziehen soll und dass alles für seine Krönung vorbereitet wird. Er soll seine Stellung als neuer König von England sofort einnehmen.»
«Herzog Richard wird ihn krönen?»
Sie nickt. «Die königlichen Gemächer werden für ihn vorbereitet, und sie passen ihm das Krönungsgewand an. Die Abtei wird geschmückt, sie bestellen den Festumzug und bringen die Mittel für die Krönungsfeierlichkeiten auf. Sie haben die Einladungen verschickt und das Parlament einberufen. Alles wird vorbereitet.» Sie zögert. «Natürlich ist das alles etwas überstürzt. Wer hätte denn auch je gedacht …?»
Sie unterbricht sich. Offensichtlich hat sie sich geschworen, ihren Kummer über Edwards Tod vor mir zu verbergen. Wie könnte seine Hure es auch wagen, vor den Augen seiner Königin ihren Verlust zu betrauern? Also sagt sie nichts, aber auch meine Augen füllen sich mit Tränen, und ich wende den Blick ab. Ich neige nicht zu sentimentalen Anwandlungen. Sie ist seine Hure; ich bin seine Königin. Aber Gott weiß, wir vermissen ihn beide. Wir teilen den Kummer um ihn, wie wir die Freude an ihm geteilt haben.
«Bist du ganz sicher?», frage ich sehr leise. «Der Gewandmeister lässt seine Krönungsgewänder schneidern? Alles
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