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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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wie sich das Boot auf dem Fluss entfernt, die beiden Männer an den Rudern, mein Junge im Heck. Niemand hat Grund, sie aufzuhalten. Es gibt Dutzende wie sie, Hunderte von Booten überqueren den Fluss in alle Richtungen, gehen ihren Geschäften nach, zwei Arbeiter mit einem Jungen, der einen Botengang zu erledigen hat. Ich öffne mein Fenster,aber ich rufe nicht seinen Namen. Ich rufe ihn nicht zurück. Ich will nur, dass er mein Gesicht sehen kann, falls er heraufschaut. Er soll wissen, dass ich ihn nicht leichten Herzens gehen lasse, dass ich ihm bis zum letzten, bis zum allerletzten Augenblick hinterherblicke. Er soll sehen, dass ich in der Dämmerung nach ihm schaue, und wissen, dass ich den Rest meines Lebens nach ihm Ausschau halten werde, dass ich auf ihn warten werde bis zur Stunde meines Todes, dass ich auch nach dem Tod auf ihn warten werde. Dass der Fluss seinen Namen wispert.
    Er blickt nicht auf. Er tut, was ihm gesagt wurde. Er ist ein guter, tapferer Junge. Er denkt daran, den Kopf gesenkt zu halten und die Kapuze in die Stirn zu ziehen, um sein blondes Haar zu verbergen. Er darf nicht vergessen, auf den Namen Peter zu antworten und nicht zu erwarten, dass man ihm auf Knien aufwartet. Er muss den ganzen Pomp vergessen, die königlichen Reisen, die Löwen im Tower und den Hofnarren, der Purzelbäume schlägt, um ihn zum Lachen zu bringen. Er muss die Menschenmengen vergessen, die seinen Namen gerufen und ihm zugejubelt haben, und seine hübschen Schwestern, die mit ihm gespielt und ihm Französisch und Latein und sogar ein wenig Deutsch beigebracht haben. Er muss den Bruder vergessen, den er liebte und der zum König geboren wurde. Er muss wie ein Vogel werden, wie eine Schwalbe, die im Winter unter die Wasser der Flüsse fliegt und starr und schweigend gefriert und erst wieder herauskommt, wenn der Frühling die Wasser öffnet und fließen lässt. Er muss wie eine liebe, kleine Schwalbe in den Fluss gehen, in die Obhut seiner Ahnin Melusine. Er muss darauf vertrauen, dass der Fluss ihn verbirgt und in Sicherheit wiegt, denn ich kann es nicht mehr.
    Von meinem Fenster aus blicke ich dem Boot hinterher,und zuerst kann ich ihn noch im schaukelnden Heck sitzen sehen, denn die kleine Jolle bewegt sich in dem regelmäßigen Rhythmus, in dem die Männer die Ruder durchs Wasser ziehen. Dann greift die Strömung nach dem Boot, und sie werden schneller, und da sind andere Boote, Barkassen, Fischerboote, Handelsschiffe, Fähren, Jollen, sogar zwei riesige Holzflöße, und ich kann meinen Jungen nicht mehr sehen. Er ist in den Fluss gegangen. Ich muss ihn Melusine und dem Wasser anvertrauen und bleibe ohne ihn zurück, von der Außenwelt abgeschnitten, ohne meinen letzten Sohn, am Flussufer gestrandet.

    Mein erwachsener Sohn Thomas Grey geht in derselben Nacht. Er huscht, als Stallbursche verkleidet, zur Tür hinaus in die Seitenstraßen von London. Wir brauchen jemanden draußen, der Neuigkeiten aufschnappt und unsere Truppen sammelt. Es gibt Hunderte Männer, die uns treu sind, und Tausende, die gegen den Herzog kämpfen würden. Doch sie müssen angemustert und organisiert werden, und das muss Thomas machen. Es ist sonst niemand mehr da, der das kann. Er ist siebenundzwanzig. Ich weiß, dass ich ihn der Gefahr ausliefere, vielleicht sogar dem Tod. «Geh mit Gott!», sage ich zu ihm. Er kniet vor mir nieder, und ich lege ihm segnend die Hand auf den Kopf. «Wohin gehst du?»
    «An den sichersten Ort in London», sagt er mit einem reuigen Lächeln. «An einen Ort, wo man deinen Gatten geliebt hat und Herzog Richard niemals verzeihen wird, dass er ihn betrogen hat. Das einzige ehrliche Gewerbe in London.»
    «Wovon sprichst du?»
    «Vom Hurenhaus», sagt er mit einem Grinsen.
    Damit wendet er sich ab und verschwindet in der Dunkelheit.

    Früh am nächsten Morgen bringt Elizabeth einen kleinen Pagen zu mir. Er hat uns in Windsor gedient und ist einverstanden, wieder in unsere Dienste zu treten. Elizabeth ist ein freundliches Mädchen, und so hält sie ihn an der Hand, obwohl er nach den Ställen riecht, in denen er geschlafen hat. «Du wirst auf den Namen Richard, Duke of York, hören», erkläre ich ihm. «Die Leute werden dich ‹Mylord› und ‹Sire› nennen, und du wirst sie nicht verbessern. Du wirst kein Wort sagen, nur nicken.»
    «Ja, Ma’am», murmelt er.
    «Und du nennst mich Frau Mutter», sage ich.
    «Ja, Ma’am.»
    «Ja, Frau Mutter.»
    «Ja, Frau Mutter», wiederholt er.
    «Du badest jetzt und

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