Die Königin der Weißen Rose
halten wir die Schlüssel zum Tower in Händen.»
Elizabeth richtet sich auf, die Umhänge ihrer Schwestern ordentlich über den Arm gelegt. «Vertraust du all deinen neuen Freunden, Mutter?», fragt sie kalt. «All diesen neuen Verbündeten, die plötzlich an deine Seite geeilt sind, denen aber nichts gelingt? Die alle bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um Edward auf seinen Thron zu setzen, wo sie doch erst vor wenigen Wochen alle miteinander bei Herzog Richards Krönung gut gespeist und getrunken haben? Ich habe gehört, Lady Margaret hat die Schleppe der neuen Königin Anne getragen, so wie sie einst deine trug. Die neue Königin hat sie auf beide Wangen geküsst. Sie wurde bei der Krönung geehrt. Und jetzt ruft sie ihre Männer für uns zu den Waffen? Ist sie unsere treue Verbündete? Der Duke of Buckingham war das Mündel, das dich hasste, weil du ihn mit meiner Tante Katherine verheiratet hast, und er hasst dich immer noch. Sind das deine wahren Verbündeten? Oder sind sie treueDiener des neuen Königs, die dich in eine Falle locken? Denn sie spielen beide Rollen, und sie reisen mit ihm und feiern in Oxford. Sie waren nicht dort, sie haben sich nicht in Gefahr gebracht, im Tower, um meinen Bruder zu retten.»
Kalt erwidere ich ihren Blick. «Ich kann mir meine Verbündeten nicht aussuchen», sage ich. «Um meinen Sohn zu retten, würde ich mit dem Teufel persönlich paktieren.»
Sie zeigt mir den Anflug eines eisigen Lächelns. «Vielleicht hast du das schon getan.»
AUGUST 1483
Es wird ein heißer Sommer, und Lionel schleicht sich aus dem Asyl und aus London, um sich dem Aufstand unserer Brüder und Verbündeten anzuschließen, der Richard besiegen soll. Ohne ihn fühle ich mich sehr allein. Elizabeth ist still und distanziert, und ich habe niemanden, dem ich meine Ängste anvertrauen kann. Flussabwärts ist mein Sohn weiterhin ein Gefangener im Tower, und Jemma erzählt uns, dass man ihn und den kleinen Pagen nicht mehr in den Tower-Gärten spielen sieht. Sie haben sich dort im Bogenschießen geübt, doch jetzt sieht man sie nicht mehr an der Zielscheibe. Seit unserem Rettungsversuch haben die Wachen sie drinnen behalten, und ich fürchte allmählich die Gefahr der Pest in der heißen Stadt und denke an die beiden Jungen in diesen kleinen, finsteren Räumen.
Ende August macht sich eines Tages ein Bootsführer vom Fluss bemerkbar, und ich öffne das Fenster und schaue hinaus. Manchmal bringen sie mir Geschenke, oft nur einen Korb Fische, doch dieser Mann hält einen Ball in Händen. «Könnt Ihr fangen, Euer Gnaden?», fragt er, als er mich am Fenster entdeckt.
Ich lächle. «Ja, das kann ich.»
«Dann fangt dies», sagt er und wirft einen weißen Ball zu mir herauf. Er segelt hoch durch das Fenster, und ichrecke beide Hände über den Kopf und fange ihn auf und lache aus Freude am Spiel. Dann sehe ich, dass der Ball in weißes Papier eingewickelt ist, und gehe zurück ans Fenster, doch der Mann ist verschwunden.
Ich wickele das Papier ab und glätte es. Als ich die kindlich runde Handschrift meines kleinen Richard erkenne, halte ich mir den Mund zu, um einen Schrei zu ersticken.
Liebste Frau Mutter,
seid gegrüßt und gesegnet. Ich darf nicht oft schreiben und Euch auch nicht genau sagen, wo ich bin, falls der Brief gestohlen wird, außer um zu berichten, dass ich sicher angekommen bin und dass es hier ganz gut ist. Die Leute sind nett, und ich habe gelernt, wie man ein Boot rudert. Sie sagen, ich sei gut und geschickt. Bald soll ich weggehen zur Schule, denn sie können mir hier nicht alles beibringen, was ich wissen muss, aber im Sommer komme ich zurück und gehe Aale fischen, die sehr lecker sind, wenn man sich mal dran gewöhnt hat, bis ich wieder zu Euch nach Hause kommen kann.
Richtet meinen Schwestern die herzlichsten Grüße aus und versichert meinem Bruder, dem König, meine Zuneigung und Ehrerbietung, und seid meiner Ehre und Liebe gewiss.
Gezeichnet,
Euer Sohn, Richard, Duke of York.
Obwohl ich jetzt Peter gerufen werde und immer daran denke, auf Peter zu reagieren. Die Frau hier, die nett zu mir ist, nennt mich ihr kleines Peterchen, aber das stört mich nicht.
Ich lese die Worte durch einen Tränenschleier, dann wische ich mir die Augen und lese den Brief noch einmal.Bei dem Gedanken, dass sie meinen Sohn geschickt finden, lächle ich, und bei der Vorstellung, dass er Peterchen gerufen wird, muss ich tief Luft holen, um nicht noch mehr zu weinen. Mir ist zum
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