Die Königin der Weißen Rose
hinausgeschickt. Wir wissen nicht, wo er ist oder ob er überhaupt noch lebt. Du verzehrst dich nach dem Thron, aber du weißt gar nicht, ob du noch einen Jungen hast, den du daraufsetzen kannst.»
Ich ringe nach Luft und trete zurück. «Elizabeth!»
«Ich wünschte, du würdest meinem Onkel ein Wort schicken, dass du seine Herrschaft akzeptierst», sagt sie, und ihre Hand in der meinen ist kalt wie Eis. «Ich wünschte, du würdest ihm sagen, dass wir bereit sind, uns mit ihm zu einigen – zu allen Bedingungen, die er nennt. Du könntest ihn überreden, uns wie eine gewöhnliche Familie ziehen zu lassen. Dann könnten wir in Grafton leben, weit weg von London, weit weg von Verschwörungen und Verrat und der andauernden Todesdrohung. Wenn du dich jetzt ergibst, bekommen wir meine Brüder vielleicht zurück.»
«Das hieße ja, dahin zurückzugehen, wo ich hergekommen bin!», rufe ich aus.
«Warst du nicht glücklich in Grafton mit deiner Mutter und deinem Vater, und mit dem Gemahl, der dir Richard und Thomas schenkte?», fragt sie schnell. So schnell, dass ich mit meiner Antwort nicht lange überlege.
«Ja», sage ich unbedacht. «Doch, das war ich.»
«Das ist alles, was ich mir wünsche», sagt sie. «Alles, wasich mir für mich und meine Schwestern wünsche. Und doch bestehst du darauf, uns zu Erben deines Elends zu machen. Ich möchte lieber die Tage erben, bevor du Königin wurdest. Ich will den Thron nicht. Ich will einen Mann heiraten, den ich liebe, und ich will ihn aus freien Stücken lieben können.»
Ich sehe sie an. «Dann leugnest du deinen Vater und mich, dann leugnest du alles, was dich zur Plantagenet macht, zur Prinzessin von York. Wenn du nicht größer zu sein verlangst, als du bist, wenn du die Gelegenheiten nicht siehst und ergreifst, könntest du genauso gut die Magd Jemma sein.»
Ruhig erwidert sie meinen Blick. «Ich wäre lieber die Magd Jemma als du», sagt sie mit der harschen Verachtung der Jugend. «Jemma kann nachts nach Hause in ihr eigenes Bett gehen. Jemma kann die Arbeit verweigern. Sie kann weglaufen und sich einen neuen Herrn suchen. Aber du bist an den Thron von England gefesselt, und du hast auch uns zu Sklaven gemacht.»
Ich reiße mich zusammen. «Ich verbitte mir diesen Ton», sage ich kühl.
«Ich spreche aus dem Herzen.»
«Dann befiehl deinem Herzen Treue und schweig. Ich wünsche von meiner Tochter nicht solch abtrünniges Geschwätz zu hören!»
«Wir sind doch keine kriegführende Armee! Nenn das nicht abtrünniges Geschwätz! Was hast du vor? Mich wegen Hochverrats enthaupten zu lassen?»
«Wir sind eine kriegführende Armee», gebe ich einfach zurück. «Und du wirst weder mich noch deine Stellung verraten.»
Meine Worte sind wahrer, als mir bewusst ist, denn in derselben Nacht marschiert unsere Armee los, und wir tunden ersten Schritt: Die Männer aus Kent erheben sich zuerst, und als sie davon hören, erheben sich auch die Männer aus Sussex. Aber der Duke of Norfolk, der Richard treu bleibt, marschiert mit seinen Männern von London nach Süden und hält unsere Armee in Schach. Sie können ihren Kameraden im Westen nicht zu Hilfe kommen; er blockiert bei Guildford die einzige Straße. Ein Mann schlägt sich nach London durch, mietet ein kleines Boot und nähert sich im Schutz von Nebel und Regen vom Fluss her unserem Asyl.
«Sir John», sage ich durch das Gitter. Weil das Eisen kreischend über den nassen Stein scharrt, wage ich es nicht, das Tor zu öffnen. Außerdem kenne ich ihn nicht, und ich vertraue niemandem.
«Ich komme, um Euch meine Anteilnahme auszudrücken, Euer Gnaden», sagt er unbeholfen. «Meine Brüder und ich wollen wissen, ob es Euer Wille ist, dass wir jetzt Henry Tudor unterstützen sollen.»
«Was?», frage ich. «Was meint Ihr?»
«Wir haben täglich für den Prinzen gebetet und ihm eine Kerze angezündet, und uns allen in Reigate tut es leid, mehr, als wir sagen können, dass wir zu spät kommen. Wir …»
«Warte», unterbreche ich ihn wie vom Donner gerührt. «Was redet Ihr da?»
Plötzlich sieht er mich fassungslos an. «Gott bewahre, sagt nicht, Ihr wisst es noch nicht, und ich platze damit heraus wie ein großer Narr?» Verlegen knautscht er den Hut, die lange Feder tunkt ins Flusswasser, das gegen die Stufen schlägt. «Oh, gnädige Dame, ich bin ein Narr! Ich hätte sichergehen sollen …» Unruhig blickt er in den dunklen Korridor hinter mir. «Ruft eine Lady», sagt er. «Dass Ihr mir nicht in Ohnmacht
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