Die Königin der Weißen Rose
und der Verlust unseres Sohnes nun vergolten ist.»
Als sie zum Ende kommt, stehen ihr Tränen in den Augen. «Falte es wie ein Papierschiffchen», sage ich.
Bereitwillig faltet sie aus dem Papier ein Miniaturschiff. Seit wir hier am Fluss eingeschlossen sind, fertigen die Mädchen ganze Flotten aus Papier an. Ich halte die Kerze hoch. «Zünde es an», flüstere ich, und sie hält das Papierschiffchen in die Flamme der Kerze, bis sein Bug Feuer fängt. «Schick es auf den Fluss hinaus», sage ich, und sie setzt das brennende Boot sanft aufs Wasser.
Es tanzt, die Flamme flackert im Wind, und dann brenntes lichterloh. Die Strömung reißt es mit sich. Einen Moment lang sehen wir es als Flamme über der gespiegelten Flamme, der Fluch und der Spiegel des Fluchs, gepaart auf dem dunklen Fluss. Dann werden sie von den wirbelnden Fluten weggetragen, und wir sehen nichts mehr. Melusine hat unsere Worte vernommen und unseren Fluch in ihr wässriges Königreich getragen.
«Es ist geschehen», sage ich, wende mich vom Fluss ab und halte ihr die Tür auf.
«Das ist alles?», fragt sie, als hätte sie erwartet, dass ich auf einer Nussschale den Fluss hinabgleite.
«Das ist alles. Das ist alles, was wir tun können, jetzt, wo ich Königin von nichts mehr bin, wo meine Söhne fort sind. Alles, was ich jetzt tun kann, ist, anderen übelzuwollen. Und Gott weiß, das tue ich.»
WEIHNACHTEN 1483
Um der Mädchen willen feiern wir ein fröhliches Fest. Ich schicke Jemma los, um Brokat zu kaufen, und wir nähen ihnen neue Kleider. Am Weihnachtstag tragen sie die letzten Diamanten aus der königlichen Preziosenschatulle wie Kronen auf den Köpfen. Die besiegte Grafschaft Kent schickt uns einen schönen Kapaun, dazu Wein und Brot fürs Festessen. Wir singen unsere Weihnachtslieder selbst, führen unsere eigenen Stücke auf und sagen nacheinander Trinksprüche. Als ich die Mädchen schließlich ins Bett bringe, sind sie so glücklich, als hätten sie vergessen, wie Weihnachten am Hof von York ist – von dem alle Botschafter sagten, sie hätten nie einen reicheren Hof gesehen –, als ihr Vater König von England war und ihre Mutter die schönste Königin, die das Land je hatte.
Meine Tochter Elizabeth bleibt noch lange mit mir am Feuer sitzen, sie knackt Nüsse und wirft die Schalen in die rote Glut, wo sie knisternd aufflammen.
«Dein Stiefbruder Thomas Grey schreibt mir, Henry Tudor wolle sich heute in der Kathedrale von Rennes zum König von England und zu deinem Verlobten erklären lassen. Ich sollte dir gratulieren», sage ich.
Sie sieht mich mit ihrem fröhlichen Lächeln an. «Ich bin eine vielverheiratete Frau», erklärt sie. «Ich wurde mit Warwicks Neffen verlobt und dann mit dem Erben Frankreichs,erinnerst du dich? Vater und du, ihr habt mich
la Dauphine
genannt, und ich habe eifrig Französisch gelernt und bin mir ganz großartig vorgekommen. Ich sollte Königin von Frankreich werden, dessen war ich mir sicher, und sieh mich jetzt an! Also warte ich lieber ab, bis Henry Tudor gelandet ist, seine Schlacht geschlagen, sich selbst zum König gekrönt und dann persönlich um meine Hand angehalten hat, bevor ich mich zu den verlobten Frauen zähle.»
«In jedem Fall ist es Zeit, dass du verheiratet wirst», sage ich fast wie zu mir selbst. Ich denke daran, wie rot sie vor ihrem Onkel Richard wurde, als er feststellte, sie sei so sehr gewachsen, dass er sie kaum wiedererkenne.
«Solange wir hier drinnen sind, kann ja nichts passieren», sagt sie.
«Henry Tudor ist unerprobt.» Ich denke laut. «Er ist sein Leben lang vor unseren Spionen weggelaufen, er hat sich nie umgedreht und den Kampf aufgenommen. Die einzige Schlacht, die er je miterlebt hat, war die unter der Befehlsgewalt seines Vormunds William Herbert, und da hat er auf unserer Seite gekämpft! Wenn er in England landet und du seine erklärte Braut bist, werden sich alle, die uns lieben, zu ihm bekennen. Alle anderen tun es aus Hass gegen Richard, auch wenn sie Henry kaum kennen. Sie alle wurden durch die Männer aus dem Norden, die im Gefolge von Richard hergekommen sind, um ihre Stellungen gebracht. Die Rebellion hat bei zu vielen einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Die Schlacht hat Richard wohl gewonnen, doch das Vertrauen der Leute hat er verloren. Er verspricht Freiheit und Gerechtigkeit, aber seit der Rebellion setzt er Lords aus dem Norden ein und regiert mit seinen Freunden. Das nehmen die Menschen ihm übel. Dein Verlobter wird in seiner
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