Die Königin der Weißen Rose
«Es ist kompliziert», sagt sie. «Und ich empfinde großes Mitleid für Königin Anne.»
Ich nicke. Ihr Mitleid für Königin Anne wird sie vermutlich nicht daran hindern, ihr den Mann wegzunehmen. Sie ist schließlich meine Tochter. Mich konnte auch nichts aufhalten, als ich den Mann meines Herzens traf.
«Wie weit ist es gegangen?», frage ich sie noch einmal. «Bei Cecily klingt es, als gäbe es schon Klatsch.»
Sie wird rot. «Cecily weiß nichts. Sie sieht, was alle sehen, und sie ist eifersüchtig, weil ich die ganze Aufmerksamkeit bekomme. Sie sieht, dass die Königin mich begünstigt und mir ihre Kleider und ihren Schmuck leiht. Sie behandelt mich wie eine Tochter und sagt, ich solle mit Richard tanzen, drängt ihn, mit mir spazieren zu gehen und mit mir auszureiten, wenn sie zu krank ist, um das Haus zu verlassen. Ehrlich, Mutter, die Königin persönlich hat mir befohlen, ihm Gesellschaft zu leisten. Sie sagt, niemand könne ihn so ablenken und aufmuntern wie ich, und der Hof findet, sie bevorzuge mich über alle Maßen. Und er bevorzuge mich auch über alle Maßen. Ich sei nur eine Zofe, werde aber behandelt wie …»
«Wie was?»
Sie senkt den Kopf und flüstert: «Die erste Dame am Hof.»
«Wegen der Kleider?»
Sie nickt. «Es sind die Kleider der Königin; sie hat meine Kleider nach den ihren schneidern lassen. Es gefällt ihr, wenn wir uns gleich kleiden.»
«Sie staffiert dich so aus?»
Elizabeth nickt. Sie hat keine Ahnung, dass mich dies mit Unbehagen erfüllt. «Du meinst, sie hat dir Kleider aus ihren eigenen Stoffen nähen lassen? Nach ihren Modellen?»
Meine Tochter zögert. «Und natürlich sieht sie nicht gut darin aus.» Mehr sagt sie nicht, aber ich stelle mir Anne Neville – untröstlich, matt, krank – neben diesem blühenden Mädchen vor.
«Und du betrittst als Erste nach ihr einen Raum? Du hast Vorrang?»
«Niemand spricht mehr darüber, dass man uns vor dem Gesetz zu Bastarden erklärt hat. Alle nennen mich Prinzessin. Und wenn die Königin nicht zum Mahl erscheint, was oft der Fall ist, dann gehe ich als erste Dame zu Tisch und sitze neben dem König.»
«Dann ist es Königin Anne, die dich in seine Gesellschaft bringt, sogar an ihren Platz setzt, und alle sehen es. Nicht Richard? Und was geschieht dann?»
«Er sagt, er liebt mich», sagt sie ruhig. Sie versucht, bescheiden zu sein, doch in ihren Augen lodern Stolz und Freude. «Er sagt, ich sei die erste und die letzte Liebe seines Lebens.»
Ich erhebe mich von meinem Stuhl, gehe zum Fenster und ziehe die schweren Vorhänge zurück, um über das dunkle Land der Wiltshire-Hügel auf die hellen, kalten Sterne blicken zu können. Ich glaube zu wissen, wasRichard tut, und ich glaube keine Minute lang, dass er sich in meine Tochter verliebt hat. Auch nicht, dass die Königin ihr aus reiner Zuneigung neue Kleider nähen lässt.
Richard spielt ein riskantes Spiel, und meine Tochter dient ihm als Bauernopfer. Er will sie – und damit mich – entehren, um Henry Tudor bloßzustellen, der feierlich geschworen hat, sie zur Frau zu nehmen. Tudor wird – so schnell, wie die Spione seiner Mutter sich einschiffen können – erfahren, dass seine Zukünftige sich in seinen Feind verliebt hat und am ganzen Hofe als dessen Geliebte gehandelt wird, während dessen Gattin lächelnd zusieht. Richard tut dies, um Henry Tudor zu schaden, auch wenn er damit seine eigene Nichte entehrt. Königin Anne macht sich lieber zu Richards Komplizin, als sich ihm entgegenzustellen. Beide Neville-Mädchen lecken ihren Männern die Stiefel: Anne war vom ersten Tag ihrer Ehe an eine gehorsame Dienerin. Abgesehen davon kann sie ihm nichts abschlagen. Er ist der König von England, und er hat keinen männlichen Erben, weil sie unfruchtbar ist. Sie wird darum beten, dass er sie nicht ganz fallenlässt. Sie hat nicht die geringste Macht: keinen Sohn und Erben, kein Baby in der Wiege, keine Hoffnung auf Empfängnis. Sie hat keinen Trumpf in der Hand. Sie ist eine unfruchtbare Frau ohne eigenes Vermögen – sie taugt zu nichts, ihr bleibt das Kloster oder das Grab. Sie hat lächelnd zu gehorchen, Widerstand würde ohnehin zu nichts führen. Selbst wenn sie mithilft, den Ruf meiner Tochter zu zerstören, wird Anne das wahrscheinlich nicht mehr einbringen als eine ehrenvolle Annullierung ihrer Ehe mit Richard.
«Hat er gesagt, du sollst deine Verlobung mit Henry Tudor lösen?», frage ich sie.
«Nein! Das hat nichts damit zu tun!»
«Oh.» Ich nicke.
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