Die Königin der Weißen Rose
«Aber du begreifst doch, dass es fürHenry Tudor eine große Demütigung darstellt, wenn es sich herumspricht?»
«Ich würde ihn sowieso nicht heiraten», platzt sie heraus. «Ich hasse ihn. Ich glaube, er war derjenige, der die Männer geschickt hat, um unseren Jungen umzubringen. Er wollte nach London kommen und den Thron übernehmen. Das haben wir gewusst. Deswegen haben wir den Sturm herbeibeschworen. Aber jetzt … aber jetzt …»
«Was jetzt?»
«Richard sagt, er wird Anne Neville fallenlassen und mich heiraten», flüstert sie. Ihr Gesicht glüht vor Freude. «Er sagt, er wird mich zu seiner Königin machen, und mein Sohn wird auf dem Thron meines Vaters sitzen. Wir werden aus dem Hause York eine Dynastie machen, und die weiße Rose wird auf immer die Blume Englands sein.» Sie zögert. «Ich weiß, dass du ihm nicht vertraust, Frau Mutter, aber ich liebe diesen Mann. Kannst du ihn nicht um meinetwillen ins Herz schließen?»
Ich glaube, das ist die älteste und schwierigste Frage zwischen Mutter und Tochter. Kann ich ihn um ihretwillen ins Herz schließen?
Nein. Dieser Mann hat meinen Gatten beneidet, er hat meinen Bruder und meinen Sohn Richard Grey getötet, er hat sich des Throns meines Sohnes Edward bemächtigt und ihn in Gefahr gebracht, wenn nicht gar Schlimmeres. Aber ich muss meinem ehrlichen Kind nicht die Wahrheit sagen. Ich muss mit diesem so überaus offenen Kind nicht offen sein. Sie hat sich in meinen Feind verliebt, und sie wünscht sich ein glückliches Ende.
Ich öffne meine Arme. «Alles, was ich mir je gewünscht habe, ist dein Glück», lüge ich. «Wenn er dich liebt und dir treu sein wird und du ihn liebst, will ich nichts anderes.»
Sie kommt in meine Arme und lehnt den Kopf an meineSchulter. Doch sie ist keine Närrin, meine Tochter. Sie hebt den Kopf und lächelt mich an. «Ich werde Königin von England», sagt sie. «Das zumindest wird dich erfreuen.»
Meine Töchter bleiben fast einen ganzen Monat bei mir. Wir leben wie eine ganz gewöhnliche Familie, so wie Elizabeth es sich einst gewünscht hat. In der zweiten Woche schneit es, und wir holen Nesfields Schlitten heraus, schirren ein Kutschpferd an und machen einen Ausflug zu einem der Nachbarn. Doch dann schmilzt der Schnee, und wir müssen über Nacht bleiben. Am nächsten Tag kämpfen wir uns durch Schlamm und Schneematsch nach Hause, denn sie können uns kein Pferd ausborgen, und wir reiten abwechselnd ohne Sattel auf dem großen Pferd. Wir brauchen fast einen ganzen Tag, um nach Hause zu gelangen, doch wir lachen und singen den ganzen Weg.
Mitten in der zweiten Woche kommt ein Bote vom Hof und bringt einen Brief für mich und einen für Elizabeth. Ich rufe sie in mein Privatgemach, wo die anderen Mädchen uns nicht stören, die in die Küche eingefallen sind, um zum Abendessen Marzipankonfekt zu machen. Wir öffnen unsere Briefe zu beiden Seiten des Schreibtischs.
Meiner ist vom König.
Vermutlich hat Elizabeth mit Dir über die große Liebe gesprochen, die ich für sie empfinde. Ich möchte Dir nun von meinen Plänen berichten. Ich will meine Gemahlin zu dem Geständnis bewegen, dass sie über das gebärfähige Alter hinaus ist. Dann soll sie in Bermondsey Abbey residieren und mich aus meinem Ehegelöbnis entlassen. Ich werde um einen gültigen Dispens ersuchen und Deine Tochter heiraten.
Sie wird dann Königin von England. Du wirst den Titel der Königinmutter tragen, und an unserem Hochzeitstag werde ich Dir zusammen mit Deiner königlichen Pension die Paläste in Sheen und Greenwich wieder überschreiben. Deine Töchter werden bei Dir und am Hofe leben, und Dir wird es obliegen, ihre Ehen zu arrangieren. Sie werden als Schwestern der Königin von England anerkannt und als Mitglieder der königlichen Familie York.
Falls einer Deiner Söhne versteckt gehalten wird und Du von seinem Verbleib weißt, kannst Du jetzt nach ihm schicken. Er ist in Sicherheit. Ich werde ihn zu meinem Erben erklären, bis Elizabeth mir einen Sohn schenkt.
Ich heirate Elizabeth aus Liebe, aber ich bin mir gewiss, Du kannst erkennen, dass dies die Lösung für all unsere Probleme ist. Ich hoffe auf Deine Zustimmung, doch werde ich die Sache in jedem Fall vorantreiben. Ich bleibe Dein Dich liebender Verwandter.
RR
Ich lese den Brief zweimal durch und lächle grimmig über seine verlogenen Formulierungen. «All unsere Probleme» ist, wie mir durch den Kopf geht, eine elegante Umschreibung für eine blutige Fehde, die
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