Die Königin von Theben
bauten Wohnstätten für die Götter, und sie wussten, wie man mit den Göttern spricht. Neben diesen Großen sind wir nur kümmerliche Zwerge.«
Ahotep hielt sich zurück. Sie wusste, dass ihre Mutter auf etwas Bestimmtes anspielte, und sie spürte eine vage Furcht in sich aufsteigen.
»Es ist nicht feige zu verzichten«, sagte Teti die Kleine.
»Wie soll ich mich darauf vorbereiten?«
»In früheren Zeiten hättest du Muße genug gehabt, um dich mit den Weisen unseres Volkes zu beraten … Aber heute drängt die Zeit.«
Ahotep hatte ihre Mutter noch nie so entschieden erlebt. »Ich werde tun, was Ihr verlangt, Majestät.«
Seit dem goldenen Zeitalter der großen Pyramiden wurde Theben als heiliger Boden betrachtet; doch erst seit der Herrschaft von Sesostris I. wurde Karnak {*} zu einem Tempel, der seinen Namen verdiente, obwohl er noch weit weniger imposant war als die Bauten von Heliopolis, Memphis oder Elephantine.
Als die Hyksos das Land eroberten, erlahmte die Energie der Tempelbauer. Da kein Pharao mehr auf dem Thron saß, wurden die Arbeiten auf den Baustellen unterbrochen; gleich den anderen, weit großartigeren heiligen Stätten sank auch das bescheidene Karnak in einen langen Dornröschenschlaf.
Die Weisen sagten freilich, jedes Bauwerk sei ein lebendiges Wesen, dessen Wachstum nicht aufgehalten werden könne; deshalb musste jeder König das Werk seiner Vorgänger vergrößern und erweitern, und deshalb wurde ein Heiligtum nie als vollendet angesehen.
Doch der Klang der Werkzeuge war verstummt, und kein einziger Steinmetz war mehr am Werk. In Karnak lebten nur noch vier ›Diener Gottes‹, vier Ritualpriester, und zehn ›reine‹ Priester, die ihren praktischen Pflichten nachkamen; sie waren alt und kümmerten sich so wenig um die äußere Welt, dass sie seit etlichen Jahren den mit einer Mauer aus ungebrannten Ziegeln umgebenen heiligen Ort nicht mehr verlassen hatten.
Teti blieb reglos vor der Tür aus Zedernholz stehen.
»Wie lange ist es jetzt her, dass sich diese Tür zum letzten Mal öffnete, um die göttliche Statue hinauszulassen«, sagte sie voller Wehmut, »wie lange ist es her, dass der Pharao im Morgengrauen hier die Wiedergeburt der göttlichen Lebenskraft feierte … Und doch bleibt Amun gegenwärtig, weil es noch ein paar Getreue gibt, die ihn verehren!«
»Was kann mir hier, an diesem Ort des Friedens und der Stille, zustoßen?«, fragte sich Ahotep verwundert.
»Kennst du den Namen der Gemahlin des Amun?«
»Die Göttin Mut, die große Herrscherin und Mutter …«
»Ihr Name bedeutet auch ›Tod‹«, sagte die Königin. »Und sie wird auch als Löwin dargestellt, mit Furcht erregenden Zornesausbrüchen. In ihrem Kultbild konzentrieren sich die zerstörerischen Kräfte, weil wir seit der Invasion die Reinigungszeremonien nicht mehr vollzogen haben.«
»Warum können wir diese Kräfte nicht gegen die Hyksos benutzen?«
»Weil sie, einmal losgelassen, alles vernichten würden, einschließlich Theben.«
»Und doch ist es Mut, der ich begegnen soll?«
»Nur wenn du es wirklich wünschst, Ahotep. Welche andere Macht wäre fähig, einen Feind zu schlagen, gegen den du allein nie gewinnen kannst? Ach! Dieser Feind ist zu grausam, als dass ihn irgendjemand bezwingen könnte!«
So hatte die Königin ihre Tochter zur Schwelle des Tempels gebracht, um ihr die Nichtigkeit ihres Vorhabens vor Augen zu führen.
»Du wolltest mir eine Lehre erteilen, nicht wahr?«
»Bist du nicht selbst klug genug, um einzusehen, dass das Ergebnis deines Aufstands nur eine blutige Niederlage sein kann?«
Ahotep betrachtete lange die Tempelmauer. »Ist es mir verboten, der Göttin Mut gegenüberzutreten?«
Teti verzog das Gesicht. »Meine Warnungen sind also nutzlos …«
»Ich will kämpfen! Und wenn ich den Beistand einer Gottheit gewinnen kann, warum sollte ich ihn zurückweisen?«
»Du bist wahnsinnig, meine Tochter! Mut wird dich vernichten.«
»Ist es nicht ein gutes Los, durch die Hand einer Göttin zu sterben?«
Resigniert führte die Königin Ahotep zu einer kleinen Pforte, die von einem reinen Priester bewacht wurde.
»Geleite die Prinzessin zur Göttin Mut«, befahl ihm die Königin.
»Majestät … Das sagt Ihr nicht im Ernst?«
»Gehorche!«
»Aber Ihr wisst doch …«
»Es ist der Wille der Prinzessin Ahotep, und niemand wird sie dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern.«
Völlig verblüfft ließ der Priester die Prinzessin ihre Schuhe ausziehen, dann wusch er ihr
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