Die Königin von Theben
dachte Apophis nicht an den Gewinn, der ihm durch seine Stellung zufiel, sondern an das riesige Reich, das er besaß.
Er herrschte über Ägypten, Nubien, Palästina, den Libanon, Syrien, Zypern, die Kykladen, Kreta, Anatolien und einen Teil Asiens. In all diesen Regionen zirkulierten die eiförmigen, etwa dreißig Liter fassenden Tonkrüge des kanaanäischen Typs, die die wirtschaftliche Überlegenheit der Hyksos anzeigte. Wer sie irgendwo sah, wusste, dass Apophis hier die Macht hatte und keinerlei Ungehorsam duldete.
»Ich werde regieren ohne Maat, die Göttin der Unterworfenen«, verkündete er, »und ich werde überall die Zeichen Seths errichten, dessen Kraft nur ich zu bändigen weiß. Wir, die Hyksos, haben die Ägypter zerschmettert, und ich, Apophis, bin der neue Pharao, Begründer einer Ahnenreihe, die alle vorhergehenden in den Schatten stellt. Meine Thronnamen sind ›Günstling Seths‹, ›Groß ist die Macht des Re‹, ›Groß ist seine siegreiche Tapferkeit‹, denn einzig die Sonne ist meinem Begehren angemessen. Mithin bin ich jetzt der König von Ober- und Unterägypten und jedes Mal, wenn man meinen Namen spricht oder schreibt, soll er von dem dreifachen Wunsch gefolgt sein: ›Leben, Entfaltung, Zusammenhalt.‹ {*} «
Während er darauf achtete, den Blick nicht auf seinen Herrn zu richten, übergab ihm Khamudi ein Amulett in Form des Lebenszeichens Anch, das Apophis an die goldene Kette um seinen Hals hängte.
»Dieses Amulett aus Lapislazuli enthüllt mir die Geheimnisse des Himmels und der Erde«, sagte der König, »und mit ihm halte ich das Recht über Leben und Tod meiner Untertanen in Händen.«
Bestürzung malte sich auf den Gesichtern der Umstehenden.
Wer hätte gedacht, dass Apophis sich zum Pharao erklären würde, indem er die traditionellen Namen und Titel für sich in Anspruch nahm und so der ägyptischen Seele eine besonders schwere Kränkung zufügte?
Doch jeder im Raum begriff, dass dieser Mann ein grausamer und unerbittlicher Kriegsherr war, entschlossen, die uralte ägyptische Kultur erst ausbluten zu lassen und sie dann endgültig auszulöschen.
Die Armee der Hyksos wurde immer stärker aufgerüstet, sowohl in materieller wie in personeller Hinsicht. Es war also offensichtlich klüger, sich zu unterwerfen, statt den Zorn dieses Mannes herauszufordern.
Es begann eine neue Ära, in der militärische und wirtschaftliche Macht den Vorrang hatten vor jedem Recht. Und da Apophis der absolute Herr dieser Macht war, blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen.
Nur der alte Gesandte von Nubien wagte einen kleinen Einwand. »Um wirklich ein Pharao zu sein, Majestät, genügt es nicht, die Thronnamen anzunehmen. Man muss sie von den Göttern beglaubigen lassen, indem man sie im Baum des Wissens in Heliopolis einritzt.«
Khamudi hätte dem Unverschämten gern die Zunge herausgeschnitten, doch die Nubier waren leicht gekränkt, und Apophis hatte Weisung gegeben, sie – zumindest für die nächste Zeit – mit Respekt zu behandeln.
Der König der Hyksos blieb ganz ruhig. »Du hast Recht, mein Freund. So ist es Sitte.«
»Nun also, Majestät … Werdet Ihr tun, was die Sitte verlangt?«
»Meine Herrschaft beginnt glanzvoll, und sie wird alles überstrahlen, was ihr vorausging, weil die Götter mich beschützen. Morgen schon werde ich mich nach Heliopolis begeben, um meinen Namen unsterblich zu machen.«
14
N achdem alle zweifelhaften Elemente ausgeschaltet worden waren, lag der Befehl über die eindrucksvolle Leibgarde des Pharaos Apophis nun in den Händen von Khamudi persönlich. Der Herrscher fuhr in seinem von einem Sonnenschirm überwölbten Wagen spazieren und war sicher, dass kein Pfeil und kein Stein aus einer Schleuder ihn treffen konnte.
Am Eingang der heiligen Stadt Heliopolis hatten Soldaten der Hyksos dafür gesorgt, dass eine Versammlung von einigen hundert ägyptischen Bauern ihren Herrscher mit Beifallsrufen willkommen hieß. Diejenigen, die nicht laut genug schrien, konnten gewiss sein, in die Kupferminen des Sinai geschickt zu werden.
Hier, in dieser Stadt der alles erschaffenden göttlichen Sonne, hatte der Geist der ägyptischen Religion Gestalt angenommen. Hier hatten die Weisen die Texte verfasst, die im Innern der Pyramiden von Sakkara in Stein gemeißelt wurden, damit die königliche Seele auferstehen und ihren Weg der unendlichen Verwandlungen antreten konnte.
Apophis hatte die Bibliothek von Heliopolis nicht zerstören lassen, weil er
Weitere Kostenlose Bücher