Die Königliche (German Edition)
sagte er und erwiderte ihren Blick einen Moment lang. »Ich bringe dir die Krone morgen früh zurück. Versprochen.«
Bei seinem Abgang strömte kalte Luft ins Zimmer. Als er das Fenster hinter sich geschlossen hatte, ging Bitterblue zum Kamin, um sich vom Feuer wärmen zu lassen. »Wie geht es Ihnen, Giddon?«
»Thiel war letzte Nacht auf der Winged Bridge unterwegs, Königin«, sagte Giddon ohne Vorrede. »Es kam uns etwas merkwürdig vor um diese Zeit, deshalb dachten wir, Sie sollten es wissen.«
Mit einem leisen Seufzer kniff sich Bitterblue in den Nasenrücken. »Thiel auf der Winged Bridge. Fox, Hava und Saf auf der Winter Bridge. Mein Vater wäre erfreut darüber, wie beliebt seine Brücken sind. Was haben Sie denn auf der Winged Bridge gemacht, Giddon?«
»Bann und ich haben Safs Versteck ein bisschen verbessert, Königin. Gerade als wir gehen wollten, kam Thiel an uns vorbei.«
»Hat er Sie gesehen?«
»Ich glaube, er hat gar nichts gesehen«, sagte Giddon. »Er war mit den Gedanken ganz woanders. Er kam vom jenseitigen Flussufer und hatte keine Lampe dabei, deshalb haben wir ihn erst bemerkt, als er direkt an unserem Fenster vorbeikam. Er bewegte sich wie ein Geist – wir sind beide erschrocken. Dann sind wir ihm gefolgt, Königin. Er stieg die Treppe zur Straße hinunter und ging in die Oststadt, aber ich fürchte, wir haben ihn aus den Augen verloren.«
Bitterblue rieb sich die Augen, was ihr Gelegenheit gab, ihr Gesicht in tröstlicher Dunkelheit zu verbergen. »Weiß einer von euch, ob Thiel Havas Gabe der Tarnung kennt?«
»Ich glaube nicht, Königin«, sagte Helda.
»Es hat bestimmt nichts zu bedeuten«, sagte Bitterblue. »Bestimmt unternimmt er nur schwermütige Spaziergänge. Aber vielleicht sollten wir sie bitten, ihm einmal zu folgen.«
»Ja, Königin«, sagte Helda. »Wenn sie bereit dazu ist, wäre es besser, Bescheid zu wissen. Runnemood ist angeblich von einer der Brücken gesprungen, und Thiel ist leicht depressiv.«
»Oh, Helda«, sagte Bitterblue und seufzte erneut. »Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen, wenn es etwas anderes wäre als schwermütige Spaziergänge.«
In dieser Nacht konnte Bitterblue vor Erschöpfung und Sorge nicht einschlafen. Sie lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Sie rieb sich den Arm, der ihr immer noch wie ein Wunder vorkam; er schmerzte zwar vor Müdigkeit, war aber von diesem schrecklichen Gips befreit, und sie hatte endlich wieder ihre Messer umgeschnallt.
Schließlich zündete sie eine Kerze an, damit sie die goldenen und scharlachroten Sterne an ihrer Schlafzimmerdecke glitzern sehen konnte. Ihr ging auf, dass sie eine Art Nachtwache hielt, für Saf. Für Teddy, Tilda und Bren, die eine Krone stahlen. Für Thiel, der nachts allein herumspazierte und so zerbrechlich war. Für diejenigen ihrer Freunde, die weit weg waren, Bo, Raffin und Katsa, und vielleicht in irgendeinem Tunnel zitterten.
Als Schläfrigkeit die Ränder ihrer Erschöpfung aufzuweichen begann und Bitterblue wusste, dass der Schlaf nah war, erlaubte sie ihren Gedanken, sich bei etwas aufzuhalten, worauf sie in letzter Zeit verzichtet hatte: dem Traum von sich als Baby in den Armen ihrer Mutter. Angesichts von Lecks Tagebüchern war es in letzter Zeit zu traurig gewesen, daran zu denken. Aber heute würde sie es zulassen, zu Safs Ehren, denn es war Saf, der ihr in jener Nacht, als sie auf dem harten Boden der Druckerei geschlafen hatte, gesagt hatte, sie solle von etwas Schönem träumen, von Babys; Saf hatte ihre Albträume vertrieben.
Als Bitterblue aufwachte und sich anzog, war das Tageslicht eigenartig graugrün und der Wind pfiff und tobte rund um das Schloss herum.
Im Wohnzimmer saß Hava so dicht am Kamin, wie es ging, ohne direkt darin zu sitzen. Sie war in Decken gewickelt und trank aus einer dampfenden Tasse.
»Ich fürchte, Hava hat etwas zu berichten, das Sie aufwühlen wird, Königin«, sagte Helda. »Vielleicht sollten Sie sich besser setzen.«
»Etwas Aufwühlendes über Thiel?«
»Ja. Von Sapphire haben wir bisher nichts gehört«, sagte Helda und beantwortete damit die Frage, die Bitterblue eigentlich gestellt hatte.
»Wann wird …«
»Lord Giddon war die ganze Nacht in anderen Angelegenheiten unterwegs und hat versprochen, nicht ohne Nachrichten zurückzukehren.«
»In Ordnung«, sagte Bitterblue und setzte sich neben Hava an den Kamin, wobei sie beim Hinsetzen ihrem Schwert auswich. Sie versuchte sich gegen etwas zu wappnen, von dem
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