Die Königliche (German Edition)
Sah sie mit diesen stahlgrauen Augen an. »Was fragen Sie mich da?«
Wie leid Bitterblue es war zu streiten, wie leid sie es war, dass die Leute sie direkt ansahen und ihr ins Gesicht logen. »Der Brief, den ich an meinen Onkel Ror geschrieben habe, darüber, mit Entschädigungszahlungen zu beginnen, Thiel«, sagte sie. »Diesen Brief habe ich Ihnen anvertraut. Haben Sie ihn abgeschickt oder verbrannt?«
»Natürlich habe ich ihn abgeschickt, Königin!«
»Er ist nie angekommen.«
»Briefe gehen manchmal auf dem Meer verloren, Königin.«
»Ja«, sagte Bitterblue. »Und Häuser fangen zufällig Feuer und Verbrecher bringen sich ohne Grund gegenseitig auf der Straße um.«
In Thiels Verwirrung mischten sich langsam eine Art verzweifelter Schmerz und Entsetzen, während er sie weiterhin ansah. »Königin«, sagte er vorsichtig, »was ist passiert?«
»Was, dachten Sie, würde passieren, Thiel?«
In diesem Moment platzte Darby durch die Tür und reichte Thiel eine Nachricht. Thiel warf einen geistesabwesenden Blick darauf; hielt inne; las sie noch einmal aufmerksamer.
»Königin«, sagte er und klang immer verwirrter. »Heute Morgen bei Tagesanbruch wurde dieser junge Beschenkte, der geschmückt ist wie ein Lienid – Sapphire Birch –, gesehen, wie er mit Ihrer Krone durch den Handelshafen gerannt ist und sie dann in den Fluss geworfen hat.«
»Das ist absurd«, sagte Bitterblue unbewegt. »Die Krone befindet sich in diesem Moment in meinen Räumen.«
Thiel runzelte zweifelnd die Stirn. »Sind Sie sicher, Königin?«
»Natürlich bin ich sicher. Ich war gerade eben dort. Ist der Fluss danach abgesucht worden?«
»Ja, Königin …«
»Aber man hat sie nicht gefunden.«
»Nein, Königin.«
»Und das wird man auch nicht«, sagte Bitterblue, »denn die Krone liegt in meinem Wohnzimmer. Er muss irgendetwas anderes in den Fluss geworfen haben. Sie wissen genau, dass er ein Freund von mir und Prinz Bo ist und deshalb niemals meine Krone in den Fluss werfen würde.«
Thiel war noch nie verblüffter gewesen. Darby stand mit zusammengekniffenen gelb-grünen Augen neben ihm und überlegte. »Wenn er Ihre Krone gestohlen hätte, Königin«, sagte er, »wäre das ein Vergehen, das mit der Todesstrafe geahndet wird.«
»Hätten Sie das gerne, Darby?«, fragte Bitterblue. »Würde es eines Ihrer Probleme lösen?«
»Wie bitte, Königin?«, fragte Darby gekränkt.
»Nein, ich bin sicher, die Königin hat Recht«, stotterte Thiel auf der Suche nach Sicherheit herum. »Ihr Freund würde so etwas nicht tun. Da muss irgendjemand ganz offensichtlich einen Fehler begangen haben.«
»Irgendjemand hat eine ganze Menge Fehler begangen«, sagte Bitterblue. »Ich glaube, ich ziehe mich in meine Räume zurück.«
In den unteren Schreibzimmern blieb sie stehen und blickte ihren Männern ins Gesicht. Rood. Ihren Schreibern, ihren Wachen. Holt. Sie musste daran denken, wie Teddy mit einem Messer im Bauch in einer Gasse auf dem Boden gelegen hatte; Teddy, der nur wollte, dass Menschen lesen konnten. An Saf, der vor Mördern davonrannte, Saf, der fälschlicherweise des Mordes bezichtigt worden war. Saf, wie er nass vom Tauchen nach Knochen zitterte, als ein Mann mit einem Messer auf ihn zugekommen war. Bren, die das Feuer in der Druckerei bekämpft hatte.
Ihre nach vorne schauende Verwaltung.
Aber Thiel hat mir das Leben gerettet. Holt hat mir das Leben gerettet. Das ist unmöglich. Ich habe irgendetwas falsch verstanden. Hava erzählt Lügen darüber, was sie angeblich gesehen hat.
Rood saß an seinem Schreibtisch und sah zu ihr auf. Da fiel Bitterblue die Lettermatrize ein, die sie immer noch fest umklammert hielt. Sie nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie Rood hin.
Rood blinzelte verwirrt. Dann verstand er und sackte auf seinem Stuhl zusammen. Er fing an zu weinen.
Bitterblue drehte sich um und rannte.
Sie brauchte Helda, sie brauchte Giddon und Bann, aber als sie in ihr Wohnzimmer kam, war niemand da. Auf dem Tisch lagen neue Übersetzungen und ein Bericht in Todds ordentlicher Handschrift. Das war das Letzte, was Bitterblue im Moment sehen wollte.
Sie rannte in den Vorraum, den Flur entlang und platzte in Heldas Räume, aber dort war Helda auch nicht. Auf ihrem Weg zurück durch den Flur blieb sie einen Moment stehen, stürzte in ihr eigenes Schlafzimmer und rannte zur Truhe ihrer Mutter. Sie kniete sich davor, umklammerte die Kanten und zwang ihr Herz, das Wort einzulassen, das das bezeichnete,
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