Die Königliche (German Edition)
in der Lage war, mit diesem Mann an einem schlecht befestigten Seil aus dem höchsten Fenster des Königreichs zu klettern. Wenn Danzhol wollte, dass sie das Schloss durch dieses Fenster verließ, würde er sie hinauswerfen müssen.
Sie versuchte ein letztes hoffnungsloses Mal, Bo zu erreichen. Als Danzhol den Enterhaken erneut fallen ließ, machte sie sich die Tatsache zu Nutze, dass er sich bücken musste, um eine Verzweiflungstat zu wagen. Sie hob ein Bein, streckte gleichzeitig die Hand aus – mit einem Aufschrei, weil sie ihren Hals dabei direkt gegen den Dolch pressen musste – und tastete nach dem kleinen Messer in ihrem Stiefel. Als sie es gefunden hatte, stieß sie damit nach hinten und stach Danzhol, so fest sie konnte, ins Schienbein.
Er schrie vor Schmerz und Wut auf und lockerte seinen Griff weit genug, dass Bitterblue herumfahren konnte. Sie rammte ihm das Messer in die Brust, so wie Katsa es ihr beigebracht hatte, unterhalb des Brustbeins und mit aller Kraft nach oben. Das Eindringen war entsetzlich, unvorstellbar entsetzlich; er war zu massiv und nachgiebig, zu wirklich, und plötzlich zu schwer. Blut rann ihr über die Hände. Sie schob ihn mit aller Kraft von sich und er stürzte zu Boden.
Ein Augenblick verstrich.
Dann kamen Schritte die Treppe heraufgedonnert und Bo platzte ins Zimmer, gefolgt von anderen. Bitterblue lag in seinen Armen, ohne es zu spüren; er stellte Fragen, die sie nicht verstand, aber sie musste ihm die Antworten übermittelt haben, denn es war kaum ein Moment vergangen, da ließ er sie los, befestigte Danzhols Haken am Fenstersims, warf das Seil aus dem Fenster und schwang sich selbst hinterher.
Sie konnte den Blick nicht von Danzhols Leiche abwenden. Dann lehnte sie an der gegenüberliegenden Wand und übergab sich. Jemand Liebenswürdiges hielt ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie hörte das Grummeln seiner Stimme. Es war Lord Giddon, der Lord von den Middluns, Bos Reisegefährte. Sie begann zu weinen.
»Schhh«, sagte Giddon leise, »schon gut.« Sie versuchte sich die Tränen abzuwischen, sah jedoch, dass ihre Hände blutbeschmiert waren; daraufhin wandte sie sich zur Wand und erbrach sich erneut. »Bringt mir etwas von dem Wasser«, hörte sie Giddon sagen, dann spürte sie, wie er ihre Hände mit einem tropfnassen Tuch säuberte.
Es waren so viele Leute im Zimmer; all ihre Ratgeber, außerdem Minister und Schreiber, und immer mehr ihrer beschenkten Wachleute sprangen aus dem Fenster, wovon ihr ganz schwindelig wurde. Thiel richtete sich stöhnend auf. Rood kniete neben ihm und drückte etwas an seinen Kopf. Ihr Wachmann Holt stand in der Nähe und betrachtete sie voller Sorge mit seinen silbern-goldenen Augen. Dann war plötzlich Helda da und schloss Bitterblue in ihre weichen, warmen Arme. Und schließlich, das war das Allererstaunlichste, fiel Thiel vor ihr auf die Knie, nahm ihre Hände und hielt sie an sein Gesicht. In seinen Augen sah sie etwas Nacktes, Zerbrochenes, das sie nicht verstand.
»Königin«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wenn dieser Mann Sie verletzt hat, werde ich mir das nie verzeihen.«
»Thiel«, sagte sie. »Er hat mich nicht verletzt. Er hat Sie viel stärker verletzt. Sie sollten sich hinlegen.« Sie begann zu zittern. Es war schrecklich kalt hier drin.
Thiel stand auf, immer noch ihre Hände zwischen den seinen, und sagte ruhig zu Helda, Giddon und Holt: »Die Königin hat einen Schock erlitten. Sie muss sich hinlegen und so lange wie nötig ausruhen. Ein Heiler muss sich um ihre Schnitte kümmern und ihr einen Lorassim-Tee aufbrühen, damit ihr Zittern nachlässt und der Flüssigkeitsverlust ausgeglichen wird. Verstehen Sie?«
Alle verstanden es. Es wurde getan, was Thiel gesagt hatte.
Bitterblue lag zitternd unter ihrer Decke, zu müde zum Schlafen. Ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Sie zog an der bestickten Kante ihres Lakens. Ashen hatte immer gestickt, unermüdlich die Kanten von Laken und Kissenbezügen mit diesen fröhlichen kleinen Bildern geschmückt, mit Booten, Schlössern und Bergen, Kompassen, Ankern und Sternschnuppen. Mit fliegenden Fingern. Es war keine schöne Erinnerung.
Bitterblue schlug die Laken zur Seite und ging zu Ashens Truhe. Sie kniete sich davor und legte ihre Handflächen auf den Deckel aus dunklem Holz, in dessen Oberfläche Reihen über Reihen wunderschöner Verzierungen eingeschnitzt waren wie die, die Ashen gerne gestickt hatte. Sterne und Sonnen, Schlösser und Blumen, Schlüssel,
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