Die Königliche (German Edition)
wie auch immer.«
»Du auch«, warf Bitterblue ein. »Du sagst immer ›sie‹, aber du gehörst doch auch dazu.«
Saf zuckte die Achseln. »Ich bin nach Monsea gekommen, um meine Schwester besser kennenzulernen, und dies ist, als was meine Schwester sich entpuppt hat. Ich mag meine Freunde hier und ich stehle gern. Solange ich hier bin, helfe ich ihnen. Aber ich bin Lienid, Sparks. Es ist nicht meine Sache.«
»Prinz Bo würde diese Haltung verabscheuen.«
»Wenn Prinz Bo mir befehlen würde, von der Erde zu springen, Sparks, würde ich es tun. Ich habe dir doch gesagt, ich bin Lienid.«
»Aus dir wird man überhaupt nicht schlau!«
»Ach?«, sagte Saf, zog an ihren Händen und grinste verschmitzt. »Aber aus dir, oder was?«
Bitterblue war nervös und antwortete nicht, wartete nur ab.
»Es gibt jemanden im Königreich, der gegen uns arbeitet, Sparks«, sagte Saf leise. »Die Wahrheit ist, dass ich deine Frage nicht beantworten kann, weil wir nicht wissen, wer es ist. Aber irgendjemand weiß, was wir tun. Es gibt jemanden da draußen, der uns hasst und alles tut, um Leuten wie uns Einhalt zu gebieten. Erinnerst du dich an das frische Grab, vor dem ich dich in jener Nacht auf dem Friedhof getroffen habe? Das war ein Freund von uns. Er ist am helllichten Tag von einem Auftragsmörder erstochen worden, der uns nicht sagen kann, wer ihn beauftragt hat. Unsere Leute werden ermordet. Oder manchmal werden ihnen Verbrechen angehängt, die sie nicht begangen haben, und sie verschwinden auf Nimmerwiedersehen im Gefängnis.«
»Saf!«, sagte Bitterblue entsetzt. »Ist das dein Ernst? Bist du sicher?«
»Teddy wurde mit einem Messer angegriffen und du fragst mich, ob ich sicher bin?«
»Aber warum? Warum sollte sich jemand die Mühe machen?«
»Um des Schweigens willen«, sagte Saf. »Überrascht dich das wirklich so? Alle wollen Schweigen. Alle möchten gern vergessen, dass Leck jemals irgendjemandem was getan hat, und so tun, als wäre Monsea vor acht Jahren aus dem Nichts entstanden. Und wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Köpfe zum Schweigen zu bringen, gehen sie in die Erzählstuben, betrinken sich und fangen eine Schlägerei an.«
»Das ist nicht der Grund, weshalb die Leute in die Erzählstuben gehen«, wandte Bitterblue ein.
»Oh, Sparks«, sagte Saf seufzend und zog an ihren Händen. »Für dich, mich oder die Fabulierer ist das nicht der Grund. Du gehst dahin, um den Geschichten zuzuhören. Andere Leute gehen dahin, um die Geschichten zu ertränken. Weißt du noch, dass du mich mal gefragt hast, warum wir die Listen der gestohlenen Gegenstände haben und nicht die Königin? Zum Teil liegt es daran, dass niemand überhaupt auf die Idee kommt, seine Verluste aufzulisten, bis jemand wie Teddy es ihm vorschlägt. Die Leute denken nicht nach. Sie wollen Schweigen. Sogar die Königin will Schweigen. Und irgendjemand da draußen braucht Schweigen, Sparks. Irgendjemand da draußen tötet dafür.«
»Warum seid ihr damit nicht zur Königin gegangen?«, fragte Bitterblue und versuchte das Leid in ihrer Stimme runterzuschlucken, damit er nicht merkte, welche Ausmaße es angenommen hatte. »Menschen, die andere Menschen umbringen, um die Wahrheit zu unterdrücken, brechen das Gesetz. Warum seid ihr in dieser Angelegenheit nicht zur Königin gegangen?«
»Sparks«, sagte Saf ausdruckslos, »was meinst du wohl?«
Bitterblue schwieg einen Moment, als sie verstand. »Ihr glaubt, die Königin steckt dahinter.«
Eine Uhr in der Stadt schlug Mitternacht. »Das kann ich noch nicht sagen«, erwiderte Saf achselzuckend. »Das kann keiner von uns. Aber wir warnen die Leute davor, mit ihrem Wissen über das, was Leck getan hat, Aufmerksamkeit zu erregen. Nimm zum Beispiel Städte, die sich ihrer Unabhängigkeit wegen an die Königin wenden. Sie richten einfach ihre Beschwerden gegen ihre Lords und beziehen sich so wenig wie möglich auf Leck. Sie erwähnen nie die Töchter, die ihre Lords rätselhafterweise entführt haben, oder die Menschen, die verschwunden sind. Wer auch immer unser Übeltäter ist, es ist jemand mit einem sehr langen Arm. Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig da in deinem Schloss.«
Leck ist tot.
Aber wenn Leck tot ist, warum ist es dann nicht vorbei?
Während sie in jener Nacht vorsichtig durch die Schlossflure schlich und die Treppen hinaufstieg, versuchte Bitterblue sich einen Reim auf diese verwirrenden Mordversuche zu machen. Sie konnte den Impuls verstehen, einfach weitermachen zu wollen, nach
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