Die Königliche (German Edition)
eigenartig. Bitterblues Herz streckte sich nach diesem Cousin aus, der sich mit erschöpfter, verärgerter und verletzter Miene auf dem Sofa zurücksinken ließ. »Bo«, sagte sie. Sie strich ihm übers Haar und küsste ihn auf den Kopf. »Was kann ich tun?«
Seufzend sagte er: »Du könntest Giddon trösten gehen.«
Eine Stimme antwortete auf ihr Klopfen. Als Bitterblue Giddons Zimmer betrat, saß dieser auf dem Boden an der Wand und betrachtete selbstvergessen seine linke Hand.
»Sie sind Linkshänder«, sagte Bitterblue. »Wahrscheinlich hätte mir das schon früher auffallen müssen.«
Er beugte die Hand und erwiderte grimmig, ohne aufzusehen: »Ich trainiere manchmal zur Übung mit der Rechten.«
»Haben Sie sich wehgetan?«
»Nein.«
»Ist es ein Vorteil im Kampf, Linkshänder zu sein?«
Er warf Bitterblue einen höhnischen Blick zu. »Gegen Bo?«
»Gegen normale Leute.«
Ein desinteressiertes Schulterzucken. »Manchmal. Die meisten Kämpfer sind besser darauf trainiert, sich gegen einen Rechtshänder-Angriff zu verteidigen.«
Selbst Giddons mürrische Stimme hatte einen schönen Klang. »Soll ich bleiben?«, fragte Bitterblue leichthin. »Oder soll ich wieder gehen?«
Da ließ er die Hand sinken und sah zu ihr auf, blickte sie direkt an. Seine Miene wurde weicher. »Bleiben Sie, Königin.« Dann schien er sich an seine guten Manieren zu erinnern und machte Anstalten aufzustehen.
»Oh, bitte«, sagte Bitterblue, »das ist ein dämlicher Brauch.« Sie ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder, lehnte sich aus Symmetriegründen ebenfalls an die Wand und begann selbst ihre Hände zu mustern.
»Vor weniger als zwei Stunden«, sagte sie, »saß ich genau so neben einem Freund auf dem Dach eines Geschäfts in der Stadt.«
»Was? Wirklich?«
»Wir sind von Leuten verfolgt worden, die ihn umbringen wollten.«
»Königin«, Giddon verschluckte sich beinahe, »ist das Ihr Ernst?«
»Verraten Sie es niemandem«, sagte Bitterblue, »und mischen Sie sich nicht ein.«
»Sie meinen, Katsa und Bo …«
»Denken Sie nicht gleichzeitig an ihn und daran«, sagte Bitterblue ruhig. »Erwähnen Sie ihn in keinem Gespräch oder in keiner Überlegung, an denen Sie ihn nicht teilhaben lassen wollen.«
Giddon stieß ein ungläubiges Geräusch aus; dann schwieg er und dachte eine Weile darüber nach. »Lassen Sie uns ein andermal über das reden, was Sie mir gerade erzählt haben, Königin«, sagte er, »da meine Gedanken gerade ziemlich ausschließlich auf Bo gerichtet sind.«
»Worauf ich eigentlich hinauswollte«, sagte Bitterblue, »ist, dass ich Höhenangst habe.«
»Höhenangst.« Giddon schien nicht zu begreifen.
»Manchmal ist das sehr demütigend.«
Giddon schwieg erneut. Als er wieder sprach, klang er nicht mehr, als begriffe er nichts. »Ich habe Ihnen mein schlechtestes Benehmen gezeigt, Königin, und Sie reagieren mit Liebenswürdigkeit.«
»Wenn das wirklich das Schlechteste ist, was Sie zu bieten haben, hat Bo einen wunderbaren Freund.«
Giddon betrachtete erneut seine Hände, die so breit und groß wie Teller waren. Bitterblue bezwang den Drang, ihre Hand an seine zu legen und über den Größenunterschied zu staunen.
»Ich habe überlegt, was wohl das Demütigendste an der ganzen Sache ist«, sagte er. »Dass ich nur in der Lage war, ihn zu schlagen, weil er es zugelassen hat – er stand da wie ein Sandsack, Königin …«
»Mhm? Und wissen Sie, niemand wird es Ihnen zuschreiben«, sagte Bitterblue. »Alle werden annehmen, dass Katsa bei einem ihrer Übungskämpfe einen Fehler gemacht hat. Niemand wird glauben, dass Sie das geschafft haben.«
»Fühlen Sie sich nicht verpflichtet, Rücksicht auf meine Gefühle zu nehmen, Königin«, sagte er trocken.
»Fahren Sie fort«, sagte Bitterblue grinsend. »Sie waren gerade dabei, die verschiedenen Arten Ihrer Demütigung aufzuzählen.«
»Ja, Sie sind sehr aufmerksam. Zweitens ist es nicht schön, der Letzte zu sein, der es erfährt.«
»Ah«, sagte Bitterblue. »Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Sie weit davon entfernt sind, der Letzte zu sein, der es erfährt.«
»Aber Sie müssen das verstehen, Königin. Ich verbringe mehr Zeit mit Bo als sonst jemand von Ihnen. Sogar mehr Zeit als Katsa. Obwohl es eigentlich keine Rolle spielt.«
»Was meinen Sie?«
»Die größte Demütigung …« Dann brach er ab, kläglich und mit plötzlich verkrampftem Unterkiefer, zog die Arme und Schultern eng an sich, als wäre es etwas, wogegen er sich
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