Die Königliche (German Edition)
schiefen Blech so schnell und mühelos auf die Beine, dass sie die Augen schließen musste, damit ihr nicht schwindelig wurde. Als sie sie wieder öffnete, hatte er sich wie sie mit dem Rücken zur Wand neben ihr niedergelassen.
»Vielleicht ist deine Gabe Furchtlosigkeit«, sagte sie.
»Ich habe vor vielem Angst«, entgegnete er. »Aber ich tu’s trotzdem. Zeig mal, was du da hast.«
Sie holte Küssen in Monsea aus der Tasche und reichte es ihm. Er sah es fragend an. »Papier in Leder gebunden?«
»Eine Vorlage, um viele Exemplare davon zu drucken«, sagte sie. »Das Manuskript des Buches Küssen in Monsea .«
Mit einem überraschten »Hm« hob er es näher an die Augen, um im Dunkeln das Etikett zu studieren.
»Der Bibliothekar der Königin hat es eigenhändig geschrieben«, fuhr Bitterblue fort. »Er hat die Gabe, schnell zu lesen und sich an jedes Buch, jeden Satz und jedes Wort – sogar jeden Buchstaben – zu erinnern, die er je gelesen hat. Wusstest du von seiner Gabe?«
»Wir haben von Todd gehört«, sagte Saf, löste das Lederband, klappte den Lederumschlag auf und blätterte mit zusammengekniffenen Augen in den Seiten. »Sagst du mir die Wahrheit? Ist es wirklich das, was du behauptest – und Todd schreibt die Bücher neu, die König Leck hat verschwinden lassen?«
Sie nahm an, dass Sparks, das Bäckermädchen, nicht allzu viel über die Angelegenheiten des königlichen Bibliothekars wissen konnte. »Ich weiß nicht, was Todd macht. Ich kenne ihn nicht persönlich. Das hier hat mir der Freund eines Freundes geliehen. Todd hat es nur aus der Hand gegeben, weil man ihm versprochen hat, dass der Interessent ein Drucker ist, der es vervielfältigen würde. Das ist die Bedingung, Saf. Du kannst es geliehen haben, wenn du es druckst. Todd wird natürlich dafür sorgen, dass du für deine Arbeit und deine Ausgaben bezahlt wirst«, fügte sie hinzu und verfluchte sich, dass sie sich diese plötzliche Komplikation hatte einfallen lassen, die sich aber nicht vermeiden ließ. Es war sicher nicht billig, ein Buch zu drucken, und sie konnte schließlich nicht von ihnen erwarten, die Wiederherstellung der königlichen Bibliothek zu finanzieren. Wäre es sehr sonderbar, wenn ein Bäckermädchen, das Todd noch nie gesehen hatte, als Überbringerin des königlichen Geldes fungierte? Und bedeutete das, dass sie noch mehr Schmuck verpfänden musste?
»Sparks«, sagte Saf. »Verschnür mich und schick mich nach Ror City. Wenn das hier wirklich ist, was du sagst – komm, wir bringen es runter in die Druckerei. Ich werde sonst noch blind hier oben.«
»Ja, gut«, sagte sie, »aber …«
Er blickte vom Buch auf und in ihr Gesicht. Seine Augen waren schwarz und voller Sterne. »Ich habe mir nie gewünscht, ein Gedankenleser zu sein, bis ich dich kennengelernt habe, weißt du das, Sparks? Was ist los?«
»Ich habe Angst, mich zu bewegen«, sagte sie beschämt.
»Sparks.« Saf klappte das Manuskript zu und nahm ihre kleinen kalten Hände in die seinen. »Sparks«, wiederholte er und blickte ihr in die Augen. »Ich werde dir helfen. Ich schwöre, dass du nicht runterfallen wirst. Glaubst du mir?«
Sie glaubte ihm. Hier auf diesem Dach, mit seiner vertrauten Gestalt, seiner Stimme, all den Dingen an ihm, die sie kannte, fest an seine Hände geklammert, glaubte sie ihm voll und ganz. »Jetzt möchte ich dir meine dritte Frage stellen«, sagte sie.
Er atmete geräuschvoll aus. »Oh, Wieselkacke«, entgegnete er grimmig.
»Wer versucht dich und Teddy umzubringen?«, fragte sie. »Saf, ich bin auf deiner Seite. Heute Nacht hatten sie es auch auf mich abgesehen. Sag es mir einfach. Wer ist es?«
Saf antwortete nicht, saß einfach da und spielte mit ihren Händen. Sie dachte schon, er würde nicht antworten. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger machte ihr das aus, denn seine Berührungen kamen ihr plötzlich wichtiger vor als ihre Frage.
»Es gibt Leute in diesem Königreich, die Wahrheitssucher sind«, sagte er schließlich. »Nicht viele, aber einige. Leute wie Teddy, Tilda und Bren – Leute, deren Familien zum Widerstand gehörten und die der Wahrheit einen hohen Stellenwert einräumen. Leck ist tot, aber es gibt noch so viele Wahrheiten aufzudecken. Darum kümmern sie sich, Sparks, verstehst du? Sie helfen den Leuten herauszufinden, was passiert ist, ordnen Erinnerungen. Geben zurück, was Leck gestohlen hat, und machen, wenn möglich, rückgängig, was Leck getan hat, durch Diebstahl, durch Bildung –
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