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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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das Very Large Panoramic Telescope (VLPT) seinen Dienst aufgenommen habe. Ich sah einen Filmbeitrag dazu: Männer in weißen Reinraum-Uniformen standen im Bild herum, beugten sich über Mikroskope oder bedienten einen Roboterarm, der winzige Platinen auf ein Board setzte. Dazu lief ein Off-Text, der mit Superlativen um sich warf, als gäbe es kein Morgen. Der Off-Text erklärte, dass die Herstellung großer CCD-Chips mit bis zu fünf Milliarden Pixeln Neuland für die optische Industrie sei und in puncto Präzision und Qualität höchste Anforderungen an Mensch, Material und Rechner, also wirklich an alle Beteiligten, stelle.
    Dann wurde ein dramatisches Hochgebirgspanorama aus der Luft gezeigt. Die Kamera zoomte an einen Turm von beträchtlicher Größe heran, der nur wenig mit den Observatorien zu tun hatte, wie ich sie bisher kannte. Er sah eher wie eine Geheimwaffe aus, ein achteckiger silbern blitzender Schaft, der aus einem Berggipfel nach oben ragte und an dessen Spitze, wie man jetzt sehen konnte, hinter einem gefährlich geöffneten Schlitz ein spiegelndes robotisches Auge auf der Lauer lag.
    Und dann passierte das Unvermeidliche: Eric Tolwyn tauchte auf dem Bildschirm auf. Er war es zweifellos – mit Dreitagebart und lässigem Polohemd, ganz der praktische Chef, der selbst mit anpackte. Wie um die letzte Ungewissheit auszuräumen, stand auch noch ein Namensschild vor ihm. Er saß an einem Pult mit einem Mikrofon vor sich, im Hintergrund des Bilds war eine Wand mit dem Logo des Teleskops (VLPT) und seinem Firmenlogo aufgebaut.
    Tolwyn sagte, er sei stolz, hier sitzen zu können und die Inbetriebnahme des modernsten optischen Teleskops der Welt bekannt geben zu dürfen. Das VLPT werde im ersten Monat seiner Existenz mehr vom Weltraum sehen als alle anderen Teleskope der Erde zusammen. Sobald das Teleskop in Betrieb sei, werde man eine Karte der Milchstraße erstellen, wie es sie noch nie gegeben habe. Einen dreidimensionalen, interaktiven Kosmos, den jeder am Rechner zu Hause bereisen könne. Und nun sprach er direkt in die Kamera wie ein Televermarkter: »Das heißt, jeder kann ein Entdecker sein. Sie können ein Entdecker sein.«
    Der August und der September vergingen ohne ein Lebenszeichen von Tom. Die Porträts an meiner Atelierwand häuften sich: Dale Hansen, John Loeb und Daniel Livingston. Mr. Jeremiah Whistler und sein Vulkan, Tolwyn und Dreysen, die Herren über Chiles Horizont und Mrs. Anand, die stolze Königin der Umlaufbahn. Hatten wir wirklich mit diesen Leuten auf einem Hügel namens Mars Hill zu Abend gegessen? Vor mir hingen sie als Beweis, sollte ich meine eigene Erinnerung jemals in Zweifel ziehen. Eine ganze Galerie von Menschen, die ich niemals getroffen hätte, hätten sich meine kreisrunde Umlaufbahn und Toms exzentrische Kurve nicht gekreuzt. Fast ein Jahr war das nun her.
    Ich begann, die Astronomie zu vermissen. In klaren Nächten glitzerten wieder die Plejaden über dem östlichen Horizont. Wenn ich spät mit dem Auto unterwegs war, konnte ich das große Pegasusquadrat über den Feldern aufgehen sehen. Das kleine Dobson aus Pappe, das Tom mir geschenkt hatte, war immer in meinem Kofferraum. Ich hätte es jederzeit herausholen und aufstellen können. Ein einziges Mal fuhr ich an den Straßenrand und versuchte es, aber nie zuvor hatte ich den Verlust so deutlich gespürt wie an jenem Abend auf einem leeren Feldweg zwischen den Strohballen des Spätsommers und den heraufdämmernden Herbststernbildern. Es war nicht das Gleiche ohne ihn.
    Eisenroth 3 näherte sich der Erde unaufhaltsam. Im September nahm seine wahrnehmbare Helligkeit um das Sechsfache zu. Von Magnitudo 8 auf Magnitudo 6. Ich hatte keine Zeit, mich um ihn zu kümmern. Anfang Oktober stellte ich erstmals ein paar Bilder aus. Es war keine große Sache, ich hatte nur einen kleinen Raum im Erdgeschoß eines subventionierten und ständig vom Abriss bedrohten Atelierhauses zur Verfügung. Aber wir veranstalteten eine richtige kleine Vernissage und schenkten, wie sich das gehörte, Bier und billigen Weißwein aus.
    Ganz am Ende des Abends, als sich die anderen Gäste ins Nachtleben verzogen und ich gerade die Lichter ausmachen wollte, kam Constanze. Sie verschaffte sich selbst Einlass, zog einen Vorhang in der Mitte des Raums beiseite und sah sich meine Leinwände an, die teils an der Wand hingen, teils aufgereiht dort standen.
    Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder.
    »Sind das deine?«, fragte sie.
    Einen Augenblick dachte

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