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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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unsere Verbindung gestärkt werden musste, dass es Zeit war für eine besondere Geste.
    Ich verließ meine Station und ging zu ihr hinüber. Sie bemerkte mich erst, als ich ihre Hand nahm, und ließ sich von mir auf eine Sitzbank ziehen.
    »Gute Idee mit der Band, oder?« Ich musste laut rufen, um die stümperhafte Coverversion von »Seven Nation Army« zu übertönen.
    »Ja. Es ist toll«, sagte sie.
    »Was ist?«
    Sie kniff die Augen zusammen und blickte zwischen mir und der Band hindurch aufs Wasser.
    »Es sind so viele Leute da, die ich noch nie gesehen habe.«
    »Wir mussten die Gästeliste ein bisschen auffüllen. Sonst wäre die Fahrt unbezahlbar gewesen.«
    »Dann hätten wir eben mehr bezahlt«, sagte sie betont missmutig.
    »Das sind alles Freunde von Freunden. Ich find’s gar nicht schlecht. So lernen wir mal neue Leute kennen.«
    Vera erwiderte nichts. Ihr Schweigen berührte mich unangenehmer als ihre Worte: Die Idee, hier neue Bekanntschaften zu machen, schien ihr absurd vorzukommen, keiner ernsthaften Diskussion würdig.
    Ich drückte ihre Hand. »Hast du das Kloster gesehen?«
    »Das kenn ich von allen Seiten.« Sie schenkte mir ein pflichtschuldiges Lächeln.
    »Hast du es heute Abend schon gesehen? Du musst nur zwei Schritte zur Reling machen . «
    »Ich hab’s gesehen.«
    Eine Weile starrten wir beide über die Reling hinaus in die hereinbrechende Dunkelheit. Von unserer erleuchteten Stelle unter den Scheinwerfern aus war nur noch Zwielicht zu erkennen. Ich streichelte Veras Hand. Über uns zitterten die farbigen Glühbirnen in der leisen Vibration des Diesels, und die Abendbrise fegte leere Pappbecher über das Deck.
    »Sollen wir uns noch etwas unter die Gäste mischen?«, rief ich.
    »Ja«, sagte sie und versetzte mir einen sanften Schubs. »Sieh mal nach deinen Freunden.« Bevor ich etwas erwidern konnte, steuerte sie schon auf eine Gruppe von Frauen zu, die an der Treppe zum Oberdeck lehnten. Die Frauen grinsten zu mir herüber, als wären sie in etwas eingeweiht, von dem ich wiederum nichts ahnte. Veras Freundinnen gaben mir immer dieses Gefühl.
    Ich stand auch auf und vertrat mir ein wenig die Beine. Der Weg nach vorne führte durch die Hauptkabine, vorbei an der Küche. Ein Pulk von Gästen balgte sich um eine kleine improvisierte Bar. Von dort gelangte ich über eine Treppe hinunter auf das fast menschenleere Vorderdeck. Es war stiller und dunkler als der Rest des Schiffs. Eine Kette aus blauen, roten und grünen Glühlampen, die zwischen dem Flaggenmast und dem Göschstock am Bug gespannt war, überzog das Deck mit einem matten Farbglanz und ließ es wie ein exklusives Hinterzimmer wirken.
    Mit dem Rücken zur Reling musterte ich diskret die Runde. Zwei Paare hielten Händchen. Ewige Paare, vereint seit der Mittelstufe. Es war typisch, dass sie sich bereits von der Party separierten. Zwei andere Gäste standen nahe der Schiffsglocke: Den jungen Mann kannte ich. Tobi Niermann. Ich hatte ihn immer für einen schrecklichen Langweiler gehalten, aber seit drei Jahren war er »Berater«, und er hatte schon für ein Jahr in Riga gearbeitet. Das änderte wohl einiges. Das Mädchen, in Jeans und Kapuzenpulli, war sehr hübsch. Schwarzhaarig, aber blass mit Sommersprossen. Typ israelische Wehrdienstleistende. Ihr nicht ganz schulterlanges Haar fiel in dichten kleinen Locken herab. Ich fragte mich, wer sie mitgebracht haben konnte. Auf keinen Fall Tobi Niermann.
    Eine Weile blieb ich stehen und konnte nicht anders, als das Schauspiel zu betrachten. Sein verstohlener Seitenblick, als Blick in die Ferne getarnt, ging klar in ihre Richtung.
    Ich war mir fast sicher, dass er nach einem Einstieg suchte – wer weiß, wie lange er hier schon neben ihr stand und vergeblich sein Hirn plagte. Fast hätte er mir leidgetan. Die Situation war so einfach, aber aus eigener Erfahrung wusste ich, dass Einfachheit niemals half. Im Gegenteil, die allzu offensichtliche Gelegenheit konnte den Krampf nur noch schlimmer machen. Und wenn der Moment verflogen war, in dem jedes Wort passte, klang plötzlich jedes Wort falsch.
    Derart beschäftigt mit Dingen, die mich nichts angingen, vertrödelte ich meine Zeit auf dem Vorderdeck. Der Dunkelheit nach mochte es ungefähr neun sein. Das Schiff war mindestens noch zwei Stunden lang unterwegs. Also beobachtete ich weiter Tobi und das Mädchen an der Reling. Wie ein Empfänger, der nur zufällig auf eine Frequenz eingestellt ist, fing ich ihre Wellen auf. Eine leichte

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