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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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unsere Richtung. Nachrichten, die nicht für uns bestimmt waren, so als könnten wir zu bestimmten Stunden einen normalerweise verschlossenen Raum betreten.
    Halt machten wir nur, um zu tanken, oder wenn Tom ein Ort besonders zusagte. Dann wollte er die Horizonte sehen oder Sterne zählen, während ich den Autos zusah, die zu später Stunde noch unterwegs waren. Die lokale Jugend, unterwegs zu ihren Vergnügungstempeln an einem Freitag- oder Samstagabend. Ihre zuckenden Scheinwerfer krabbelten wie Leuchtkäfer über die gestaltlose Schwärze und brachten Konturen, Straßen, Bäume zum Vorschein, die kurz darauf wieder im Dunkel verschwanden.
    Es waren diese stillen Momente, in denen ich mich manchmal selbst wie ein Empfänger fühlte, in denen ich glaubte, Signale von sehr weit her zu empfangen. Aber bevor ich die Quelle orten und ihre Botschaft entziffern konnte, verschwand sie wieder. Das Signal war zu schwach, ein Ton so leise, dass ihn der kleinste Windhauch mit sich forttragen konnte.

KAPITEL 10

    A nfang Dezember fiel bereits der erste Schnee, und in der Woche darauf sanken die Temperaturen tagsüber unter null. Das ganze Land schien in eisiger Starre zu liegen. Nahezu jeder Untergrund, Wiesen, Felder, Asphalt, war mit der gleichen trüb-weißen diamantharten Schicht überzogen. Der Himmel über der Stadt hatte ein nacktes sibirisches Blassblau angenommen. Von Tom hörte ich nichts. Eine Ruhelosigkeit, die selbst für ihn außergewöhnlich war, hatte nun vollständig von ihm Besitz ergriffen. Selten erreichte ich ihn zu Hause, und für das Observatorium fand er keine Zeit mehr. An einem öden Sonntag in meiner überheizten Wohnung hielt ich es nicht mehr aus über meinem Wärmedämmungsmerkblatt. Ich flehte Tom fast an, mich mitzunehmen, egal wohin er fahre. Er sagte, er könne mich mit dem Wagen abholen, am frühen Nachmittag.
    Tom fuhr tagsüber langsamer als nachts, fiel mir auf. Statt auf die Straße und ihre Kurven konzentrierte er sich jetzt auf die Landschaft. Er sah permanent aus dem Fenster, als müsste er eine Hausnummer finden, aber da waren nur verschneite Felder und alle paar Kilometer rückte ein Zwiebelturm mit ein paar Häuschen ins Bild. Tom machte einen traurigen, nervösen Eindruck. Ich konnte mir denken, was es zu bedeuten hatte: Die Suche nach einem neuen Zuhause für sein Observatorium hatte ihn jetzt so gefangen genommen, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Eine Weile blätterte ich zerstreut in einer Zeitschrift, die ich an einer Tankstelle gekauft hatte. Als ich das nächste Mal aus dem Fenster sah, war ich überrascht. Ich warf einen Blick nach links, dann nach rechts, und nahezu jede Unebenheit war aus dem Bild verschwunden. Nichts als die spiegelnde Ebene der Felder und der Himmel, die sich in einem Dunststreifen am Horizont berührten. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas in Bayern gab. Die Landschaft war zu einem abstrakten Gemälde geworden. Die Straße war nun eine Allee, auf beiden Seiten von Birken gesäumt, deren Weiß sich bei diesem Licht wie ein neuer Lack ausnahm. Eine Art Dorf – eigentlich nur eine Reihe von Häusern am Straßenrand, rückte ins Bild.
    »Schau dir diese kleinen Häuschen an«, sagte ich. »Sieht aus wie in Osteuropa.«
    »Das ist das Donaumoos«, sagte Tom und kniff die Augen vor all der Helligkeit zusammen.
    »Kennst du die Gegend?«
    »Ja, bei Nacht ist sie ein bisschen zu neblig. Das Moos ist eigentlich ein trockengelegter Sumpf. Und es gibt keinen einzigen Hügel, der aus dem Bodennebel rausragt.«
    »Hier warst du auch schon bei Nacht?«, fragte ich.
    »Ja. Warum nicht?«
    »Du kennst ja wirklich bald das ganze Land im Dunkeln.«
    »Ich kenne noch lange nicht das ganze Land.«
    Gegen Nachmittag gelangten wir auf eine belebte Bundesstraße. Vor uns im Westen türmte sich der Wolkenpilz eines Atommeilers auf. Namen von Kleinstädten zogen vorbei. Sieendeten nicht mehr auf »-ing« sondern auf das schwäbische »-ingen«. Die Landschaft hatte ihre Zurückhaltung wieder aufgegeben und wurde immer abenteuerlustiger. Wir sahen Steinbrüche in den Flanken der Hügel. Nackter grauer Fels kam zum Vorschein, Steilwände bauten sich vor uns auf und schließlich ein richtiger Berg, der die Zinnen einer Burg trug. Nachdem wir ein paar kleinere Schluchten und Dörfer im Schatten bewaldeter Steilhänge passiert hatten, schoben sich die Felsen auseinander wie ein Vorhang und gaben den Blick auf eine Ebene frei. Unsere Straße führte seitlich

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