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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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daran entlang, genau an der Schnittstelle zweier Landschaften: links das Gebirge, rechts das Flachland, das mir merkwürdig irreal vorkam, als führen wir an einer Fototapete vorbei. Ich fragte mich, woher der Eindruck der Künstlichkeit kam, bis ich begriff, dass hier viel weniger Schnee gefallen war als in den anderen Gegenden, die wir durchquert hatten. Die braunen und grünen Quadrate einzelner Felder drangen durch, inmitten der erstorbenen Winterwelt hatte sich die Landschaft einen pastoralen Charakter bewahrt. Vereinzelte runde Bergrücken waren wie kleine Blasen über die Ebene verteilt. An knöchrigen Obstbäumen und vereisten Äckern vorbei fuhr Tom auf einen der Hügel zu, es war die Miniaturausgabe eines Tafelbergs, eigentlich nur eine kleine Erhebung, die vielleicht zweihundert Meter über den Rest des Plateaus hinausragte.
    »Sollen wir uns das Ganze mal von oben ansehen?« schlug er vor.
    Wir hielten auf einem kleinen Parkplatz am Fuß des Berges. In der Nähe stand ein Häuschen mit Hinweisschildern. Ich stapfte hinüber und begann zu lesen. Der »Informationspavillon« erklärte, dass wir dabei waren, einen sogenannten »Zeugenberg« zu besteigen, der die Grenze der Schwäbischen Alb markiere.
    Missgelaunt betrachtete Tom das Häuschen und die Schilder.
    »Was hast du?«
    Er sagte nichts, aber in Gedanken war er dabei, das Häuschen abzureißen, das wusste ich. Tom liebte das Unerschlossene. Aber das war in Deutschland schwer zu bekommen, und dass jemand diesem lächerlichen kleinen Berg bereits einen Informationspavillon gewidmet hatte, war ganz und gar unerträglich.
    »Komm, gehen wir mal rauf«, sagte er.
    Ein Fußweg führte in einem großen Bogen den Hügel hinauf, allerdings war er lebensgefährlich. Unter einer staubdünnen Schneedecke lag ein glasiger Überzug aus Eis. Wir arbeiteten uns ein paar Minuten mit dezenten, kleinen Schritten voran, wie Kirchgänger nach der Messe auf dem Weg zum Ausgang. Als wir noch etwa fünfzig Meter vom Gipfel entfernt waren, wurde der Weg steiler und so glatt, dass wir nicht einmal mehr in diesem Tempo weiterkamen. Tom wählte den direkten Weg nach oben, querfeldein über die Wiese. Sein Standbein glitt weg, und er musste sich mit den Händen abfangen. Ich tastete mich weiter, an dem weniger vereisten Wegrand entlang, und sah Tom zu, der abermals die Balance verlor und sich an einem Baumstamm festhalten musste, um nicht zu stürzen. Es war eigenartig mit ihm: Nachts überwand er jedes Hindernis – Wurzeln, Felsen, Zäune – mit einer Leichtigkeit, die beinahe aufreizend war. Er hatte dann sogar eine Art Rhythmus in seinem Gang. Jetzt, am helllichten Tag, war davon nichts mehr übrig. Als könnte keine seiner Fähigkeiten im Tageslicht voll zur Entfaltung kommen.
    Durch zentimeterweises Tasten errangen wir schließlich einen späten Erfolg. Der Gipfel war abgeflacht, eine mit Gras und graupenartigen, harten Schneeflocken bedeckte Ebene von der Größe eines Fußballfeldes. Tief unter uns schmiegte sich eine Ortschaft an die Rundung des Bergs, dahinter erhoben sich die waldbedeckten Höhenzüge der Alb. Wir stapften einmal rundherum, auf der anderen Seite war die seltsame braune Ebene, eine Decke mit vereinzelten, winterlich weißen Flicken. Ich hatte einen kleinen Rucksack dabei, aus dem ich eine Thermoskanne hervorzog. Tom entfaltete eine silberne Matte.
    »Wir bleiben hier nicht bis es dunkel wird, oder?«, fragte ich und ließ mich auf der Folie nieder.
    »Auf keinen Fall«, sagte Tom. »Das würde hier nichts bringen.«
    »Wieso?«
    »Der Blick von hier nach Osten geht so. Der Berg schirmt das Licht der kleinen Stadt unten ab. Und es gibt wenig Niederschläge. Man sieht ja, dass kaum Schnee gefallen ist. Aber insgesamt ist die Gegend noch viel zu dicht besiedelt.«
    »Kannst du schon tagsüber sehen, wie dunkel es wird?«, fragte ich und goss dampfenden Tee in den Deckel der Kanne.
    »Nein«, sagte er. »Es hängt von so vielen Dingen ab. Man weiß es nie genau.«
    Seine Augen schweiften nachdenklich, aber ohne größeres Interesse über den braunweißen Flickenteppich.
    »Eins verstehe ich noch nicht, Tom.«
    »Was?«
    »Warum ziehst du nicht gleich an den dunkelsten Ort in Deutschland?«
    »Weil niemand weiß, wo er ist.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Doch, im Ernst.«
    »Aber es gibt doch Satellitenfotos und so was.«
    »Die Satelliten schauen von oben nach unten. Um den Himmel zu testen, musst du von unten nach oben sehen, ist doch eigentlich

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