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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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sich mit Gegebenheiten abzufinden, die er nicht selbst überprüft hatte. Es war der Forscher in ihm, der nicht lockerließ. Oder es war nur sein widerspenstiges Element, das nicht nachgeben konnte. Je nachdem, in welchem Licht man ihn sah.
    Manchmal rief er mich jetzt spätabends an und fragte, ob ich etwas vorhätte. Das erste Mal fuhren wir nachts etwa hundert Kilometer weit, in Richtung der tschechischen Grenze, um uns auf einen Hügel mitten im Niemandsland zu stellen. Offensichtlich testete Tom die Bedingungen dort, aber wie er das tat, verstand ich nicht. Er baute nicht einmal sein Taschenteleskop auf. Er stieg einfach nur aus dem Auto, ließ den Blick über die Horizonte schweifen und schließlich nach oben. Dann schien er eine Weile völlig im Anblick der Sterne zu versinken, er stand ganz reglos da und sprach nicht mehr. Ich fragte mich, ob er etwas betrachtete oder nur träumte. Als er genug (wovon?) gesehen hatte, zog er einen Apparat vom Rücksitz, der aussah, wie eine altertümliche Kamera, und machte noch Aufnahmen.
    »Was ist das für ein Ding?«
    »Ein Photometer. Damit kannst du die Dunkelheit messen.«
    »Du misst die Dunkelheit?«
    »Ja, warum nicht? Ich sehe ab und zu nach, wo es noch gut ist.«
    Wie schon einige Male in Toms Gegenwart fragte ich mich, ob er reinen Unsinn erzählte, oder ob sich mir gerade ein ganz neues Betätigungsfeld auftat.
    »Und, ist es gut hier?«
    »Nein.«
    Bei seiner zweiten Probebeobachtung dieser Nacht machte sich Tom nicht einmal die Mühe, sein Photometer auszupacken. Für mich sah der Sternenhimmel immer noch beeindruckend aus, aber ihm reichte er nicht. Langsam verstand ich seine Art zu denken. Die Nacht war für ihn wie ein Produkt, das ständiger Prüfung bedurfte. Und auch hier war die Nacht eindeutig verschnitten, von minderer Qualität. Er wollte sofort wieder umkehren.
    »Du hast ja noch gar nicht gemessen«, sagte ich.
    »Brauch ich auch nicht. Das wird hier nichts.«
    »Wie kannst du das sehen?«
    »Du suchst nach bestimmten Sternen. Siehst du das Pegasusquadrat?« Er wies mit dem Zeigefinger auf ein mir flüchtig bekanntes Rechteck aus vier hellen Sternen, direkt über uns. »Versuch mal, die Sterne darin zu zählen. Unter den besten Himmeln kannst du um die neunzig finden.«
    Das Quadrat kam mir eigentlich leer vor. Nach einer Weile sagte ich: »Ich sehe so zehn. Oder zwölf.«
    Er seufzte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist fast blind.«
    Mein Alltag hatte zu dieser Zeit etwa die gleiche Farbe wie das Hintergrundleuchten: ein mittleres Grau. Wenn ich abends bei Tom gewesen war, fühlte ich mich nach dem Aufstehen wie gerädert. Meiner Aufgabe in der Logistikbranche war ich trotzdem noch gewachsen. Der Höhepunkt des Monats war ein Illustratorenjob, der mir in Aussicht gestellt wurde. Ich sollte für eine ortsansässige Baufirma ein Informationsblatt über Wärmedämmung bebildern. Das heißt nicht das ganze Informationsblatt: Ich war nur für Styropor und Holzwolle zuständig. Blieb noch Dr. Werner Holsteins Astronomiebuch. Ich war inzwischen darauf vorbereitet wie auf einen olympischen Wettkampf. Ein kleines Paket mit Probeillustrationen hatte ich Holstein schon geschickt – ohne Reaktion. Das Projekt drohte im Sande zu verlaufen. Sehr wahrscheinlich arbeitete er gar nicht mehr an dem Buch. Von Ulrich hörte ich, sein Vater sei vom Verlag aufgefordert worden, ein Sachbuch für Erwachsene vorzuziehen – über die Chemie der Liebe.
    Vera brachte kein Verständnis für meine Klagen auf. Sie hasste Anflüge von Selbstmitleid, und im Grunde hatte sie recht: Ich neigte zur Dramatisierung und zur Übertreibung, fast genoss ich es, ihr den Schutthaufen meines Lebens vor die Füße zu werfen, eine leicht durchschaubare Taktik, um Trost und bewundernde Zurufe zu bekommen. Ich wollte von ihr hören, dass ein Mann meines Talents seine Energie nicht verschwenden dürfe, dass ich »meinen Instinkten folgen« müsse – Veras Text war praktisch schon geschrieben. Aber leider hatte sie selbst so viel zu tun, dass sie die Rolle als Fee in meiner Märchenwelt absagen musste.
    »Gehst du wieder zu Tom?«, fragte sie mich, als ich nach einem gemeinsamen Nachmittag in ihrer Wohnung aufstand und meine Winterjacke vom Haken nahm.
    »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht ruf ich ihn an.«
    »Mach das.«
    Sie klappte den Bildschirm ihres Notebooks auf, schien in Gedanken bereits mitten in der Arbeit zu sein. Ich betrachtete sie

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