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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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logisch.«
    Ich nickte bedächtig. Es klang in sich logisch, aber tatsächlich schien es mir undenkbar. Wie konnte es sein, dass die Frage nach der dunkelsten Nacht in einem bis in alle Winkel vermessenen und erforschten Land noch nicht geklärt war? Es machte einfach keinen Sinn. Die einzige Begründung, die es geben konnte, war, dass die Frage niemanden interessierte.
    »Auf den Satellitenfotos kannst du sehen, wo das Licht konzentriert ist«, sagte Tom. »Aber nicht, wie weit es sich ausbreitet. Es hängt von der Luftverschmutzung ab, von der Landschaft, von tausend Sachen. Am besten siehst du selbst nach, überall mit den gleichen Messgeräten. Oder mit deinen eigenen Augen, das ist noch besser.«
    »Deswegen fährst du überall hin?«
    »Ja.«
    »Und das hat vor dir noch niemand gemacht?«
    »Nein. Es hat sich noch niemand die Mühe gemacht.«
    »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    »Es ist so.«
    »Aber was würdest du machen, wenn du den perfekten Ort gefunden hättest?«
    »Wahrscheinlich würde ich da hinziehen.«
    Ich fragte mich, wie ein solcher Ort aussehen könnte. Mit Sicherheit würde es keine 24-Stunden-Videothek geben. Ich würde Tom nicht sehr oft da besuchen. Das könnte das Ende unserer Freundschaft sein. Wir schwiegen, und ich vertiefte mich wieder in die Geometrie der Felder. In großer Entfernung erkannte ich am Horizont wieder eine Erhebung, dazwischen war das Land, wie von einem großen Fußabdruck geglättet.
    »Es ist seltsam, wie die Berge hier plötzlich abreißen«, bemerkte ich.
    »Hier hat mal ein Meteorit eingeschlagen. Vor ein paar Millionen Jahren. Nördlinger Ries, nie gehört?«
    »Glaube nicht.«
    »Der Stein hat die ganze Gegend plattgemacht. Wir sitzen hier auf dem Kraterrand.«
    Ich blickte mich noch einmal um. Es war wirklich vorstellbar.
    »Jetzt weißt du wenigstens, wie ein echter Krater aussieht.« Er klatschte in die Hände und erhob sich. »Sollen wir?«
    Der Abstieg war einfacher als der Aufstieg. Wir schlidderten einfach von Baum zu Baum und ließen uns von den Stämmen abfangen.
    Als wir ins Auto stiegen, war der Wagen innen ausgekühlt. Wir fuhren nach Westen, dem Abendrot und den Bergrücken entgegen. Seite an Seite saßen wir mit unseren Daunenjacken in dem engen Cockpit und starrten wortlos in die erkaltende Welt. Hinter den waldbedeckten Höhenzügen draußen verblasste der Himmel. Die Nacht würde frostklar werden, schon tauchten erste funkelnde Lichter in dem Preußischblau auf. Ich merkte, wie ich sanft in die Sitze gedrückt wurde und hörte das heisere Brüllen, das so typisch für Toms Auto war.
    »Hast du heute Abend noch was vor?«, fragte er mich.
    »Ich denke, Vera kommt ohne mich klar.«
    »Dann fahren wir noch ein bisschen herum.«
    »Ja, fahren wir«, sagte ich und trank Orangensaft aus einem Tetrapack.
    Er machte das Radio wieder an, ein Rauschen und Knistern. Die Dunkelheit der Berge sog uns auf. Immer noch waren irgendwo in der Ferne Dörfer zu sehen, die ihr giftiges Licht in den Himmel sandten. Man konnte gar nicht weit genug von ihnen weg sein. Wir mussten weiter, bis an Dörfer nicht mehr zu denken war. Bis die Dunkelheit alles andere und auch uns selbst zum Verschwinden brachte. Wir waren jetzt dabei, die Kunst der Zivilisationsvermeidung zu perfektionieren. Wir suchten nur nach Leerstellen. Wir navigierten so gekonnt um die Wirklichkeit dieses Landes herum, dass man fast der Einbildung erliegen konnte, das vertraute Deutschland, das Land der Gewerbegebiete, der Baumärkte und Möbelcenter an Autobahnausfahrten existierte gar nicht mehr. In Toms Kopf existierte es wohl auch wirklich nicht. Er ignorierte dieses Land ebenso wie er Universitäten, digitale Fotochips und andere für ihn nutzlose Aspekte der Gegenwart ignorierte.
    Nach einer Stunde hatten wir einen scheinbar besonders abgelegenen Ort erreicht. Tom löschte das Licht und begann wieder mit seiner Routine.
    Ich wusste schon, was er gleich sagen würde. Sicher, der Himmel sei in Ordnung, vielleicht sogar überdurchschnittlich, aber nicht das, was er suche.
    »Ach du Scheiße«, rief Tom. »Sieh dir das an.«
    In der Richtung, in die er schaute, war ein Lichtstrahl aufgetaucht, der senkrecht in den wolkenlosen Himmel leuchtete, genau dort wo der Horizont am dunkelsten gewesen war. Einer dieser Sky-Beamer, die gleiche Sorte, die mich in der städtischen Sternwarte fast das Augenlicht gekostet hätte.
    »So eine Sauerei«, sagte Tom. Er fixierte das Licht, hasserfüllt, wie einen

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