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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Regalen rannten kleine Kinder mit Mandelaugen herum, Mädchen mit langen geflochtenen schwarzen Zöpfe standen mit ihren Süßigkeiten an der Kasse und quasselten über die Schule, in einem fein prononcierten Englisch wie Internatskinder aus Connecticut. Die Männer waren stämmig, einige massig, mit großen, breiten Schädeln, kurzgeschorenen Haaren und fleischigen Wangen. Sie parkten draußen mit ihren Allradlastern, packten ihre Hühnerteile ein und verschwanden wieder. Aus reiner Gewohnheit betrachtete ich die Cover der bunten Schachteln am DVD-Stand. Es war das Spielfilmangebot von vor einem Jahr.
    »Gibt es hier ein Hotel?«, fragte Tom den jungen Mann hinter der Kasse.
    Der junge Mann rückte seine »Arizona Wildcats«-Baseballkappe zurecht und plusterte die Wangen auf. Es sah nicht aus, als würde er gleich eine Liste mit Telefonnummern zücken.
    »Ich meine, wir wissen, dass es hier kein Hotel gibt«, fügte Tom hinzu. »Aber vielleicht gibt es in der Nähe eins. Im nächsten Ort oder an der Straße.«
    Der Mann betrachtete meine Kleidung. In seinem ratlosen Blick glaubte ich auch Mitleid zu entdecken. »In Flagstaff finden Sie ein Motel«, sagte er.
    »Da kommen wir her. Was ist in der anderen Richtung?«
    »Kein Motel.«
    Tom seufzte: »Haben Sie …?« Er überlegte.
    »Haben Sie Schmerztabletten«, schlug ich vor.
    Ich kaufte eine Familienpackung. Außerdem ließen wir uns zwei Hühnerbeine und etwas Wasser geben.
    Draußen besaß Tom immerhin die Größe, seinen Fehler einzugestehen. »Wir sollten nach Flagstaff zurückfahren. Alles andere hat keinen Sinn.«
    »Das stehe ich nicht durch. Ich kann mit meinem Steißbein nicht mehr sitzen.«
    »Dann müssen wir eben hier übernachten.«
    »Ach so. Und wo?«, rief ich.
    »Na ja.« Tom blickte zur anderen Straßenseite hinüber. Hinter dem Müllfeld konnten wir die lange Reihe weißer Hausfassaden nur noch erahnen. »Platz ist hier ja genug.«
    Natürlich war es eine abwegige Idee. Ich hasste sie von Anfang an, aber das ganze Ausmaß ihrer Abwegigkeit wurde mir erst klar, als wir die Ruinen aus der Nähe sahen. Wir waren noch einmal bis zu der Schule gefahren und dann in Richtung der verlassenen Siedlung abgezweigt. Von der Landstraße aus hatte ich die Häuser noch für halbfertige Rohbauten gehalten, aber nun sahen wir, dass sie ausgeweidet und mutwillig verwüstet worden waren. Die Fenster fehlten nicht, sondern waren größtenteils eingeschlagen, in den Rahmen staken Glasdreiecke. Bei manchen Häusern hingen Teile des Putzes von der Außenmauer herab. Und auf den ungenutzten Flächen herrschte ein entsetzliches Gewirr aus Stahlteilen, Baumüll, morschen Brettern, abgesägten Bäumen, aufgehäuft und verkeilt wie nach einem tollwütigen Gewaltausbruch. Ich hatte in meinem Leben schon sogenannte »Geisterdörfer« gesehen, aufgegebene Siedlungen in Tagebaugebieten oder Investitionsruinen. Ich wusste, dass an ihnen nichts Unheimliches war – ein paar menschenleere Häuser, mehr nicht. Aber diese Siedlung jagte mir Angst ein. Echte Angst.
    Tom entdeckte einen Grund für Optimismus. »Da ist ganz viel trockenes Holz«, sagte er.
    »Und?«
    Egal, was er sagen würde, dachte ich, es konnte bizarrer nicht werden. Aber er erstaunte mich dennoch. Tom schlug vor, in einem der Häuser ein Feuer anzuzünden.
    Es gab so vieles, was dagegen sprach – darüber zu reden überstieg meine Kraft.
    »Das ist verboten«, sagte ich nur schwach.
    »Was schlägst du dann vor?«, fragte er.
    Ich atmete hörbar aus. »Wieso sollte ich was vorschlagen?«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich hier mit einer großen Beule am Kopf sitze. Vielleicht erinnerst du dich noch, wie es passiert ist.«
    »Ich kann doch auch nichts dafür, dass du gleich in Panik gerätst.«
    Ich glaube, Tom erkannte die Zeichen gerade noch rechtzeitig. Er sah, dass in meinem Kopf irgendein wichtiges Teil implodierte und tat instinktiv das Richtige. Er stieg einfach aus dem Auto aus. Ich selbst blieb so lange im dunklen Wagen sitzen, bis ich wieder normal atmete und mein Steißbein zu stark schmerzte. Ich nahm drei Tabletten und versuchte, draußen etwas zu erkennen. Ich erahnte Toms Schatten, der in den mit Schutt übersäten Vorgärten herumstöberte und mit dem Fuß rostige Teile durch die Gegend kickte.
    »Was machst du da?«, rief ich aus dem Fenster.
    »Du kannst gerne fahren«, rief Tom. »Ich komm klar, hol mich morgen früh hier ab.«
    Dann sah und hörte ich nichts mehr von ihm. Die Nacht hatte ihn

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