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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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einsteigen?«
    »Ich kann’s versuchen.«
    Er half mir beim Aufstehen und hievte mich auf die Beine.
    »Geht’s?«
    »Ich glaube.«
    »Was sollte das denn?«, sagte er. »Warum bist du nicht zum Auto gelaufen wie ich?«
    »Halt die Klappe« schrie ich ihn an. »Halt die Klappe, du verdammtes Arschloch.« Ich setzte mich und schlug die Autotür von innen zu.
    Auf der Fahrt zurück zur Straße sprachen wir wenig. Tom nahm keine Rücksicht auf unser Auto und fuhr so schnell, wie er konnte. Hinter uns sah ich keinen anderen Wagen.
    »Wohin?«, fragte Tom, als der Weg in die Landstraße mündete.
    »Flagstaff«, sagte ich. »Ich brauche ein Motelzimmer, um das Blut abzuwaschen.«
    »Wie schlimm ist es?«
    »Ich werde nicht verbluten, aber ein Bett wäre gut heute Nacht.«
    »Auf dem Schild da steht, Leupp ist nur sechs Meilen von hier«, sagte Tom.
    »Das ist im Navajo-Gebiet.«
    »Denkst du, Navajos haben keine erste Hilfe?«
    »Also gut«, sagte ich. »Irgendwohin wo ein Wasserhahn ist und ein Bett.«
    In schneller Fahrt passierten wir die Grenze zum NavajoLand. Sechs Meilen! So wie mein Steißbein wehtat, war selbst das eine viel zu weite Reise. Nun, da die Ebene im Schatten lag, sah sie noch grauer und eintöniger aus. Grasbüschel tüpfelten das Land wie eine alte Hyäne. Telegrafenmasten ragten wie Zahnstocher aus der Ebene, ein paar niedrige Hügel lagen schwarz und zusammengeschmolzen dahinter. Es war ein Land ohne Eigenschaften, wie jene entseelten Ebenen, auf denen im populären Spielfilm die Maschinenschlachten der Zukunft geschlagen werden. Oder das, was danach von der Welt übrig bleibt. Einmal sah ich im Vorbeifahren undeutlich eine Felsgruppe. Sie war menschengemacht, mehrere Sockel aus aufgehäuften roten Steinen, die eine Formation von unbe kannter Bedeutung bildeten. Aber das war schon alles. Ich rieb meinen Ellbogen und gab mich der vollendeten Trostlosigkeit des Anblicks hin. Ob es wirklich Sinn machte, nach Leupp zu fahren, darüber dachte ich gar nicht nach. Ich hatte jenes Stadium der Ermattung erreicht, in dem man sich willenlos einem anderen Menschen überantwortet. Zum ersten Mal in meinem Leben, dachte ich: Tom wird schon wissen, was er tut. Er wird für mich sorgen. Es war kein bewusster Gedanke, eher ein Instinkt. Ich ruhte meine schmerzenden Knochen aus, er fuhr Auto und kümmerte sich um den Rest.
    Wie sehr der Instinkt trügen kann! Sobald die ersten Häuser der Siedlung auftauchten, ahnte ich bereits, dass es ein Fehler gewesen war, ihm die Wahl zu überlassen. Direkt an der Straße lag eine braune Brachfläche, und dahinter sahen wir im Dämmerlicht eine Reihe flacher Häuser mit gähnenden Löchern an Stelle von Fenstern und Türen. Es waren Einfamilienhäuser aus Beton, wahrscheinlich Sozialbauten, eine komplette Geistersiedlung, die allem Anschein nach nicht den Bedürfnissen der Menschen entsprochen hatte. Über dem müllübersäten Land mit seinen herumfliegenden Plastiktüten spannten sich die Drähte der Telefonmasten.
    »Das ist also Leupp«, sagte ich.
    »Bevor du voreilige Schlüsse ziehst«, sagte Tom, »da geht’s noch weiter«.
    Er hatte Recht. Es gab auch noch eine erleuchtete kleine Tankstelle und eine bewohnte Gegend. Letztere grenzte direkt an das Gebiet der Ruinen an und bestand aus einer einzigen Straße mit kleinen weißen und blauen Holzschuppen, vor denen die üblichen allradgetriebenen Kleinlaster parkten. In den Zäunen hatte sich herangewehter Müll verfangen. Das größte Gebäude der Straße war eine Kirche, ein neuer oder renovierter Bau mit einem gemauerten Fundament und einem spitzen Kirchturm. Das einzige andere gemauerte Gebäude war die Grundschule am Ende der Straße, vor der ein gelber Schulbus stand. Wir sahen schon wieder Hunde. Freilaufende bullige Tiere, die die Straßen kreuzten oder als drohende Schatten in den Höfen standen. Die einzigen Menschen, die wir zu Gesicht bekamen, waren zwei Kinder, die in der tintenblauen Dämmerung hinter der Schule einen Drachen steigen ließen. Eine Straßenbeleuchtung gab es nicht. Wo das Licht aus den Häusern aufhörte, standen wir wieder im Dunkeln.
    Tom saß schweigend hinter dem Lenkrad.
    »In welchem Motel sollen wir als Erstes fragen?«, sagte ich.
    Er wendete. »Vielleicht können die in der Tankstelle uns weiterhelfen.«
    Der Laden der Tankstelle war um diese Uhrzeit stark belebt. Er war wohl überhaupt das einzige Geschäft am Ort. Über den Tresen wurden gerupfte Hühnerbeine verkauft. Zwischen den

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