Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
klingen mag, meine größte Angst war, dass er weggehen könnte. Es war ja durchaus möglich, dachte ich, dass er Lust bekäme, einen Spaziergang durch das Dorf zu machen oder die anderen Ruinen zu inspizieren. Ich glaube, er sah das alles als Fortsetzung unserer unschuldigen Exkursionen in Deutschland, damals, als wir versucht hatten, der Zivilisation zu entgehen. Wie sehr uns dies gelungen war, schien er noch gar nicht gemerkt zu haben. Er spielte das Spiel einfach weiter in dem Glauben, dass die Dunkelheit, seine Verbündete, ihn immer noch schützte. Aber die Dunkelheit hier war keine romantisierte Schwärze innerhalb einer vertrauten Welt. Sie wartete und lauerte hinter den Türlöchern, wo der schwache Schein unserer Glut nicht hinreichte. Sie konnte sich jeden Moment zu etwas Greifbarem zusammenballen und uns anfallen. Die wahren Nicht-Orte, das wurde mir jetzt klar, hatten nichts mit den Fantasien erschöpfter Stadtmenschen zu tun. Hier trieben Geister und böse Hund ihr Unwesen, und Matratzen waren Mangelware.
Selten in meinem Leben habe ich einen Sonnenstrahl so herbeigesehnt wie in der Navajo-Siedlung. Immer wenn die Angst kurz verflogen war, kam die Kälte, und wenn die Kälte mit neuer Glut vertrieben war, bekam ich wieder Angst. Mein Gehirn arbeitete die ganze Zeit auf Hochtouren, entschlüsselte Geräusche und arbeitete Fluchtwege aus.
Als das erste graue Tageslicht durch die Fenster hereinkroch und sich zaghaft in den leeren Räumen des Hauses festsetzte, schlief ich endlich ermattet ein. Kurze Zeit später schien mir die Sonne schon auf die schmerzenden Lider, und ich war wieder hellwach. Überall auf dem Boden lag feine Flugasche und ich mitten darin. Meine Kehle brannte vor Trockenheit, und mein Gesicht war schmierig. Meine Glieder fühlten sich wie poröser, brüchiger Stein an, ich war mir nicht sicher, ob ich sie benutzen konnte, ohne auseinanderzubrechen. Schließlich entschied ich mich für die erste Bewegung des Tages. Ich trat mit dem Fuß gegen Tom.
»Aua«, sagte er. »Was ist denn?«
»Ich fahre nach Hause«, sagte ich.
»Wohin?«
»Deutschland.«
»Ruf mich an«, murmelte er und drehte sich von mir weg.
»Komm«, sagte ich streng und trat ihn noch einmal. »Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns.«
»Was willst du jetzt in Deutschland?«
»Wir fahren zuerst nach L.A. Du verkaufst dein Teleskop, und ich buche einen Flug.«
Tom wirkte nicht überzeugt, aber der nächste Tritt brachte ihn wenigstens in die Gänge. Als wir unsere Sachen zum Auto zurückschleppten, sah ich, dass sich Leupp selbst im Licht eines jungfräulichen Morgens wenig verändert hatte. Die kleine Siedlung lag matt und übernächtigt da, vom Wind geprügelt, der Staub und Schatten über die Ebene trieb. Drüben bei den bewohnten Häusern wuschen Männer ihre Autos, Frauen fegten den Hof wie überall auf der Welt, eine irgendwie hoffnungslose Tätigkeit angesichts der Allgegenwart von Staub und Unrat. Die hübschen Kinder mussten schon in der Schule sein oder in der herausgeputzten weißen Kirche nebenan. Wir fuhren noch einmal zur Tankstelle und trafen an der Kasse auf denselben jungen Mann. Er erkannte uns bestimmt wieder, ließ sich aber nichts anmerken und registrierte ungerührt mein Erscheinungsbild.
»Sind Sie nicht nach Flagstaff gefahren?«
»Nein«, sagte ich. »Wir hatten eine Panne.«
Er wollte wissen, was genau passiert war.
»Motorexplosion«, sagte ich. »Aber wir leben noch.«
Durch das Fenster sah er unser Auto. Er betrachtete mich beinahe sanft, wie einen Verrücktgewordenen, den man nicht reizen durfte und zeigte mit einem Daumen über seine Schulter.
»Wir haben ein Waschbecken hinten. Für Ihr Gesicht.«
Wenig später lenkte ich den Wagen mit sechzig Meilen pro Stunde in Richtung Flagstaff. Der Morgen war wolkenlos, und vor uns öffnete sich erneut das Land der Vulkane. Mit der Sonne im Rücken stießen wir hinein und passierten Berg um Berg, den altarförmigen Hügel, der ein wenig abseits von den anderen stand, würdigten wir keines Blicks.
In der angenehmen Kühle des Morgens waren jetzt auch Menschen unterwegs, alle paar Minuten kam uns ein Auto entgegen, und einmal sahen wir sogar Reiter, die eine Herde Kühe über das Grasland trieben. Ich spürte, wie ich langsam in meinen eigenen Körper zurückkehrte.
Am Ende des Vulkangebiets begrüßte uns das Grün der Nadelbäume. Am Straßenrand tauchte ein Blockhaus auf. Es war die Bar. Sie sah geöffnet aus.
»Was meinst du?«,
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