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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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sagte der alte Nagual, als die Menschheit sich am dritten Punkt befand. Dieser war damals natürlich der erste Punkt. Erst später sollte sich die Menschheit zum Punkt der Vernunft bewegen.
    Aber auch vorher, als noch das stille Wissen der erste Punkt war, saß der Montagepunkt nicht bei allen Menschen in dieser Position. Die Anführer der Menschheit waren also jene wenigen, deren Montagepunkt sich direkt auf dem Punkt der Vernunft oder auf dem Punkt des stillen Wissens befand. Der große Rest der Menschheit, sagte der alte Nagual zu Don Juan, wären nur Zuschauer. Heute wären es die Anhänger der Vernunft. Früher waren es die Anhänger des stillen Wissens. Beide Gruppen von Anhängern bildeten das große Publikum, das die Helden beider Positionen in Hymnen und Epen feierte.
    Den größten Teil ihrer Geschichte habe die Menschheit in der Position des stillen Wissens verbracht, sagte der Nagual Elias. Daher auch unsere mächtige Sehnsucht nach dieser einstigen Position. Don Juan fragte den alten Nagual, was sein Wohltäter, der Nagual Julian, eigentlich mit ihm anstelle. Die Frage klang intelligenter, als sie eigentlich gemeint war. Die Antwort des Nagual Elias war damals völlig unverständlich für Don Juan. Er sagte nämlich, der Nagual Julian wolle Don Juan ausbilden und seinen Montagepunkt in die Position der Vernunft lenken, damit er sich zum Denker entwickeln könne, statt Teil eines ungebildeten, aber emotional überreizten Publikums von Anbetern der Vernunft zu bleiben. Gleichzeitig aber wolle er Don Juan zu einem wahren abstrakten Zauberer ausbilden, damit er nicht Teil eines pathologisch unwissenden Publikums von Anbetern des Unbekannten bleiben müsse.
    Von dem Nagual Elias erfuhr Don Juan auch, daß nur derjenige, der ein Beispiel an Vernunft ist, seinen Montagepunkt leicht bewegen kann, um zu einem Beispiel an stillem Wissen zu werden. Die wenigen, bei denen sich der Montagepunkt direkt in einer der beiden Positionen befindet, können die jeweils andere Position deutlich erkennen. Auf diese Weise, sagte der Nagual Elias, sei das Zeitalter der Vernunft gekommen. Denn aus der Position des stillen Wissens sei die Position der Vernunft deutlich erkennbar gewesen und habe die Sehnsucht der Menschen geweckt.
    Es sei eine Brücke mit Einbahnverkehr, die vom stillen Wissen zur Vernunft führte. Diese Einbahnbrücke, erklärte der alte Nagual, bezeichne man als »Interesse«. Jenes Interesse also, das die wahren Vertreter stillen Wissens für die Quelle ihres Wissens aufbrächten. Die andere Einbahnbrücke, von der Vernunft zum stillen Wissen, bezeichne man als »reines Verstehen«. Also die Einsicht der wahren Vertreter der Vernunft, daß die Vernunft nur eine Insel in einem unendlich weiten Meer voller Inseln sei. Ein Mensch, bei dem beide Einbahnbrücken funktionieren, sagte der alte Nagual Elias, sei ein Zauberer. Er stünde in direktem Kontakt mit dem Geist - jener lebendigen Kraft, die beide Positionen ermöglicht.
    Was der Nagual Julian am Fluß mit Don Juan angestellt hatte, so sagte der Nagual Elias, sei ein Schauspiel gewesen - nicht für ein menschliches Publikum, sondern für den Geist, jene Kraft, die ihn stets beobachte. Er sei fröhlich umhergetanzt und gesprungen und habe alle unterhalten - vor allem aber die Kraft, die er beschwören wollte.
    Denn der Geist hört nur zu, wenn der Sprechende in Gesten spricht, versicherte der Nagual Elias. Solche Gesten sind aber nicht Zeichen der Körpersprache, sondern Taten von wahrer Freude; Taten von wahrer Freigebigkeit, von wahrem Humor. Als Geste für den Geist verschenken die Zauberer ihr Bestes und opfern es still dem Abstrakten.

Die Erscheinung beabsichtigen
    Don Juan wünschte, wir sollten noch einen letzten Ausflug in die Berge machen, bevor ich nach Hause fuhr. Aber es wurde nichts daraus. Statt dessen bat er mich, ihn in die Stadt zu fahren. Dort mußte er Leute besuchen.
    Unterwegs sprachen wir über alles mögliche, nur nicht über die Absicht. Es war eine willkommene Pause.
    Am Nachmittag, nachdem Don Juan sich um seine Angelegenheiten gekümmert hatte, saßen wir auf seiner Lieblingsbank an der Plaza. Der große Platz war menschenleer. Ich war müde und schläfrig. Dann aber wurde ich unerwartet munter. Mein Kopf war glasklar.
    Don Juan bemerkte sofort die Veränderung. Er lachte über mein erstauntes Gesicht. Er konnte mir meine Gedanken direkt aus dem Kopf ablesen. Oder vielleicht war ich es, der ihm die seinen aus dem Kopf ablas.
    »Stelle

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