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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Juan, »lernen die Zauberer, eine vollkommen ausgewogene Mischung von Rücksichtslosigkeit, List, Geduld und Sanftheit einzuhalten. Diese vier Elemente gehören untrennbar zusammen. Die Zauberer kultivieren sie, indem sie sie beabsichtigen. Diese Elemente sind natürlich Positionen des Montagepunkts.«
    Jede Tat eines Zauberers, so sagte er, sei per definitionem durch diese vier Grundprinzipien bestimmt. Alles Tun eines jeden Zauberers ist also wohlüberlegt, im gedanklichen Vorsatz wie in der Ausführung. Und es zeigt jene besondere Mischung der vier Elemente des Pirschens.
    »Die Zauberer nutzen die vier Stimmungen des Pirschens als Wegweiser«, fuhr er fort. »Es sind vier verschiedene Geisteshaltungen, vier verschiedene Intensitätsgrade, die der Zauberer nutzen kann, um seinen Montagepunkt nach bestimmten Positionen in Bewegung zu setzen.«
    Plötzlich wirkte Don Juan beunruhigt. Ich fragte ihn, ob mein beharrliches Spekulieren ihm lästig sei.
    »Ich habe mir nur überlegt, wie unsere Rationalität uns doch zwischen Hammer und Amboß bringt«, sagte er. »Wir haben stets die Neigung, zu grübeln und zu fragen und herauszufinden. Und dies ist in der Praxis der Zauberei unmöglich. Die Zauberei ist das Ausgreifen nach dem Platz stillen Wissens. Und das stille Wissen kann rational nicht begründet werden. Es kann nur erfahren werden.«
    Er lächelte, und seine Augen leuchteten wie zwei Lichtpunkte. Die Zauberer, sagte er, hätten in ihrem Bemühen, sich vor der überwältigenden Wirkung des stillen Wissens zu schützen, die Kunst des Pirschens entwickelt. Das Pirschen bewegt den Montagepunkt langsam, aber stetig. Damit gibt es den Zauberern Zeit - und mithin die Möglichkeit, sich zu wappnen.
    »Innerhalb der Kunst des Pirschens «, fuhr Don Juan fort, »gibt es eine Technik, welche die Zauberer oft anwenden: die kontrollierte Torheit. Die Zauberer behaupten, daß kontrollierte Torheit die einzige Möglichkeit ist, wie sie - im Zustand gesteigerter Bewußtheit und Wahrnehmung - mit sich selbst umgehen können; und auch mit allem und jedem in der Welt des Alltags.«
    Diese kontrollierte Torheit hatte Don Juan mir als Kunst der kontrollierten Täuschung erklärt, bei der man so tut, als sei man ganz und gar in sein jeweiliges Vorhaben vertieft. Und dies so täuschend echt, daß niemand Wahr und Falsch unterscheiden kann. Kontrollierte Torheit sei aber keine regelrechte Irreführung, hatte er gesagt, sondern ein kompliziertes und kunstvolles Verhalten, das es einem ermöglicht, zu allem Distanz zu halten, während man doch ein integrierter Bestandteil von allem bleibt.
    »Die kontrollierte Torheit ist eine Kunst«, fuhr Don Juan fort. »Eine sehr anspruchsvolle Kunst, denn sie ist schwer zu lernen. Viele Zauberer haben kein Talent dazu. Nicht weil diese Kunst im Grunde verkehrt wäre, sondern weil ihre Ausübung so viel Energie verlangt.«
    Don Juan gab zu, daß er sich gewissenhaft in dieser Kunst übe. Er tue es aber nicht besonders gern - vielleicht weil sein Wohltäter ein solcher Meister darin gewesen sei. Oder weil sein - wie er sagte - im Grunde kleinlicher und hinterhältiger Charakter nicht beweglich genug sei, um die kontrollierte Torheit als Kunst auszuüben.
    Ich schaute ihn überrascht an. Er hielt inne und warf mir einen boshaften Blick zu.
    »Unser Charakter ist weitgehend festgelegt, bevor wir zur Zauberei gelangen«, sagte er mit resigniertem Schulterzucken. »Da bleibt uns nichts anderes übrig, als kontrollierte Torheit zu üben und uns selbst auszulachen.«
    Voll Mitgefühl versicherte ich ihm, ich fände ihn keineswegs kleinlich und hinterhältig.
    »Aber so ist mein Charakter im Grunde«, beharrte er.
    Und ich beharrte darauf, daß er es nicht sei.
    »Die Pirscher, die sich in kontrollierter Torheit üben, unterteilen die Menschheit charakterlich in drei Gruppen«, sagte er - grinsend
    wie immer, wenn er mich aus der Fassung bringen wollte. »Das ist doch absurd«, protestierte ich. »Das menschliche Verhalten ist viel zu kompliziert, um sich einfach in Gruppen einordnen zu lassen.«
    »Die Pirscher glauben, wir sind gar nicht so kompliziert, wie wir zu sein glauben«, erwiderte er. »Sie glauben, daß sich jeder von uns in eine dieser drei Gruppen einordnen läßt.«
    Ich lachte nervös. Normalerweise hätte ich eine solche Aussage aus Don Juans Mund als Scherz aufgefaßt. Diesmal aber war mein Kopf so klar und mein Denken so scharf, daß ich glaubte, es sei ihm ernst.
    »Meinst du das im

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