Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
wollte oder nicht.
Ich gab Don Juan zu verstehen, er hätte mir den Rat, in sitzender Haltung zu schlafen, am Vorabend geben sollen. Die Ursache meiner Schlaflosigkeit, so erklärte ich ihm, sei neben meiner großen Erschöpfung auch eine seltsame Unruhe wegen der Dinge, die er mir in der Höhle der Zauberer gesagt habe.
»Hör auf!« rief er. »Du hast unendlich viel schrecklichere Dinge gesehen und gehört, ohne auf eine Sekunde Schlaf zu verzichten. Etwas anderes beunruhigt dich.«
Einen Moment fürchtete ich, er könnte glauben, ich sei nicht aufrichtig zu ihm, was meine wahren Sorgen betraf. Ich begann mit einer Erklärung, doch er sprach weiter, als hätte ich kein Wort gesagt.
»Du hast gestern abend eindeutig festgestellt, daß die Höhle dir kein unbehagliches Gefühl bereite«, sagte er. »Nun, offensichtlich tat sie es doch. Gestern abend wollte ich mich nicht weiter über die Höhle äußern, weil ich abwarten und deine Reaktion beobachten wollte.«
Don Juan erklärte mir, daß die Höhle von Zauberern in alten Zeiten so geplant worden war, daß sie als Katalysator dienen konnte. Ihre Form sei mit Bedacht so konstruiert worden, daß sie zwei Menschen als zwei Energiefelder beherbergen konnte. Die Theorie der Zauberer war, daß die Natur des Gesteins und die Art, wie es behauen war, den beiden Körpern - also den beiden leuchtenden Kugeln - erlaubten, ihre Energien zu vereinigen.
»Ich habe dich mit Absicht zu dieser Höhle geführt«, fuhr er fort, »nicht weil ich den Ort besonders liebe - das tu ich nicht -, sondern weil sie als Instrument geschaffen wurde, um den Lehrling extrem weit in die gesteigerte Bewußtheit zu stoßen. Unglücklicherweise hilft sie zwar, aber sie verwischt auch die Fragen. Die alten Zauberer hielten es nicht mit dem Denken. Sie neigten eher zur Tat.« »Du sagst immer, dein Wohltäter sei so gewesen«, sagte ich. »Das ist eine Übertreibung von mir«, antwortete er. »Ganz ähnlich, wie wenn ich sage, du bist ein Narr. Mein Wohltäter war ein moderner Nagual, engagiert im Streben nach Freiheit, aber er neigte mehr zur Tat als zum Denken. Du bist ein moderner Nagual und engagiert im selben Streben, aber du neigst stark zu den Irrungen der Vernunft.«
Anscheinend fand er seinen Vergleich sehr spaßig. Sein Gelächter hallte durch das leere Zimmer.
Als ich das Gespräch wieder auf die Höhle lenkte, gab er vor, mich nicht zu hören. Daß er es nur vorgab, erkannte ich an dem Glitzern seiner Augen und an der Art, wie er lächelte.
»Gestern abend habe ich dir mit Vorbedacht den ersten abstrakten Kern erzählt«, sagte er. »Und ich hoffte, du würdest, wenn du überlegst, wie ich mich all die Jahre zu dir verhalten habe, eine Vorstellung von den übrigen Kernen bekommen. Du bist schon lange mit mir zusammen, darum kennst du mich sehr gut. Jeden Augenblick unserer Verbindung habe ich mich bemüht, meine Handlungen und Gedanken an den Strukturen der abstrakten Kerne auszurichten.
Die Geschichte des Nagual Elias ist etwas anderes. Wohl ist es scheinbar eine Geschichte über diese Menschen, aber in Wirklichkeit ist es eine Geschichte über die Absicht. Die Absicht errichtet Gebäude vor uns und fordert uns auf, einzutreten. So nämlich verstehen die Zauberer alles, was um sie her geschieht.«
Don Juan erinnerte mich daran, daß ich immer darauf beharrte, die grundlegende Ordnung all dessen herauszufinden, was er mich lehrte. Ich verstand ihn so, als ob er mich für meinen Versuch kritisierte, aus allem, was er mich lehrte, ein Problem der Sozialwissenschaft zu machen. Darum erzählte ich ihm, daß meine Betrachtungsweise sich unter seinem Einfluß verändert habe. Er unterbrach mich und lächelte.
»Du bist kein allzu starker Denker«, seufzte er. »Ich möchte doch, daß du die grundlegende Ordnung all dessen verstehst, was ich dich lehre. Ich kritisiere nur, was du für die grundlegende Ordnung hältst. Für dich besteht sie aus allerlei Geheimverfahren und verborgenen Zusammenhängen. Für mich bedeutet sie zweierlei: erstens, das Bauwerk, das die Absicht im Handumdrehen errichtet und vor uns hinstellt, damit wir eintreten. Und zweitens, die Zeichen, die sie uns gibt, damit wir uns nicht verirren, sobald wir in das Innere dieses Gebäudes eingetreten sind.
Wie du siehst, war die Geschichte des Nagual Elias mehr als nur ein Bericht über die Kette der Einzelheiten, aus denen sich das Ereignis zusammensetzte«, fuhr er fort. »All dem lag das Gebäude der Absicht
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