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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Heiler und Zauberer, nicht nur in Oaxaca, sondern im ganzen Süden Mexikos. Gleichwohl, und trotz seines Berufs und seiner Berühmtheit, lebte er in völliger Einsamkeit am anderen Ende des Landes, im Norden Mexikos.
    Don Juan unterbrach sich. Die Brauen hochgezogen, musterte er mich mit einem fragenden Blick.
    »Jedesmal, wenn ich meine, du solltest Fragen stellen, tust du es nicht«, sagte er. »Ich bin mir sicher, daß du mich sagen hörtest, der Nagual Elias sei ein berühmter Zauberer gewesen, der täglichen Umgang mit Leuten im Süden Mexikos pflegte; und gleichzeitig war er ein Eremit im Norden Mexikos. Weckt das nicht deine Neugier?«
    Ich kam mir abgrundtief dumm vor. Während er mir diese Tatsachen erzählte, so sagte ich ihm, sei mir der Gedanke durch den Kopf geschossen, der Mann müsse furchtbare Schwierigkeiten gehabt haben als Berufspendler.
    Don Juan lachte. Und nachdem er mir die Frage in den Mund gelegt hatte, fragte ich ihn denn, wie es dem Nagual Elias möglich gewesen sei, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten.
    »Das Träumen ist ein Düsen-Clipper der Zauberer«, sagte er. »Der Nagual Elias war ein Träumer, während mein Wohltäter ein Pirscher war. Er konnte den - wie die Zauberer sagen - Traumkörper schaffen und hinausprojizieren, oder den Anderen; und er konnte an zwei Orten gleichzeitig sein. Mit seinem Traumkörper konnte er seine Geschäfte als Zauberer ausüben und mit seinem natürlichen Selbst ein Eremit sein.«
    Verwundert stellte ich fest, daß ich die Prämisse, der Nagual Elias habe die Fähigkeit gehabt, ein festes, dreidimensionales Bild seiner selbst zu projizieren, so ohne weiteres akzeptieren konnte, während ich die Erklärung der abstrakten Kerne um keinen Preis der Welt zu begreifen vermochte.
    Don Juan sagte, ich könne die Vorstellung von einem doppelten Leben des Nagual Elias deshalb akzeptieren, weil der Geist im Begriff sei, eine letzte Feinabstimmung meines Bewußtseins vorzunehmen. Und ich erging mich in einem Hagel von Protesten gegen die Verschwommenheit dieser Feststellung.
    »Sie ist nicht verschwommen«, sagte er. »Es ist die Feststellung einer Tatsache. Du magst sagen, es ist für den Augenblick eine unbegreifliche Tatsache, aber der Augenblick wird sich ändern.«
    Bevor ich etwas entgegnen konnte, begann er wieder über den Nagual Elias zu sprechen. Der Nagual Elias, sagte er, hatte ein sehr wißbegieriges Wesen, und er konnte gut mit den Händen arbeiten. Auf seinen Reisen als Träumer sah er viele Objekte, die er in Holz oder Schmiedeeisen kopierte. Manche dieser Modelle, versicherte mir Don Juan, waren von einer berückenden Schönheit.
    »Was für Objekte waren die Originale?« fragte ich.
    »Das ist schwer zu sagen«, meinte Don Juan. »Du mußt bedenken, daß der Nagual Elias, weil er ein Indianer war, auf seine Traum- Reisen ging, ähnlich wie ein wildes Tier auf Beute schleicht. Ein Tier zeigt sich niemals dort, wo es Zeichen von menschlicher Aktivität gibt. Es kommt nur, wenn niemand in der Nähe ist. Der Nagual Elias, als einsamer Träumer, besuchte - so könnten wir sagen - die Müllhalde der Unendlichkeit, wenn niemand in der Nähe war und er kopierte, was er dort sah; aber er wußte nie, welchem Zweck diese Dinge dienten oder woher sie stammten.«
    Wieder konnte ich mühelos akzeptieren, was er gesagt hatte. Die Idee erschien mir nicht allzu abwegig. Ich wollte schon eine entsprechende Bemerkung machen, als er mich mit einem Wink seiner Augenbrauen unterbrach. Dann fuhr er fort mit seinem Bericht über den Nagual Elias.
    »Ihn zu besuchen, war für mich das höchste Fest«, sagte er, »und gleichzeitig eine Quelle seltsamer Schuldgefühle. Ich langweilte mich dort immer zu Tode. Nicht weil der Nagual Elias langweilig gewesen wäre, sondern weil der Nagual Julian so überragend war, daß jeder, der ihn kannte, für den Rest seines Lebens verwöhnt war.«
    »Aber ich dachte, du fühltest dich sicher und behaglich im Hause des Nagual Elias?« fragte ich.
    »0 ja, und das war auch die Ursache meiner Schuldgefühle und meiner eingebildeten Probleme. Genau wie du quälte ich mich gern selbst. Ich glaube, am Anfang fand ich Frieden in Gesellschaft des Nagual Elias, aber später, als ich den Nagual Julian besser verstand, bevorzugte ich seine Richtung.«
    Das Haus des Nagual Elias, erzählte er mir, hatte vorne eine überdachte Veranda, wo er eine Schmiede und eine Hobelbank samt Werkzeugen hatte. Das ziegelgedeckte Lehmhaus bestand aus einem

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