Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
Ahnung hatte, wovon er sprach. Aber gleichzeitig hatte ich das sonderbare Gefühl, es doch zu wissen.
»Besinne dich auf das erste Mal, als ich dich Rücksichtslosigkeit lehrte«, forderte er mich auf. »Diese Art von Besinnung hat etwas mit der Bewegung des Montagepunkts zu tun.«
Er wartete, um sich zu vergewissern, ob ich seine Empfehlung befolgte. Nachdem klar wurde, daß ich es nicht konnte, setzte er seine Erklärung fort. So geheimnisvoll das Überwechseln in den Zustand gesteigerter Bewußtheit auch sein mochte, sagte er, brauche man dazu nichts anderes als die Gegenwart des Geistes. Ich sagte, seine Ausführungen seien an diesem Tag besonders geheimnisvoll; oder aber, ich sei furchtbar schwer von Begriff, denn ich könne seinen Gedanken nicht folgen. Er aber meinte zuversichtlich, meine Verwirrung sei ganz bedeutungslos; bedeutsam sei einzig, daß ich begriff, daß der bloße Kontakt mit dem Geist jegliche Bewegung des Montagepunkts bewirken könne.
»Ich sagte dir doch, der Nagual ist der Mittler des Geistes«, fuhr er fort. »Weil er ein Leben damit verbringt, sein Bindeglied zur Absicht makellos zu läutern, und weil er mehr Energie hat als der normale Mensch, kann er den Geist durch sich selbst sprechen lassen. Das erste, was der Zaubererlehrling also erlebt, ist ein Wechsel seiner Bewußtseinsebene - ein Wechsel, der durch die bloße Gegenwart des Nagual herbeigeführt wird. Und du mußt begreifen, daß es wirklich keiner besonderen Methoden bedarf, um den Montagepunkt in Bewegung zu bringen. Der Geist berührt den Lehrling, und dessen Montagepunkt bewegt sich. So einfach ist das.«
Ich sagte ihm, daß seine Behauptungen für mich beunruhigend wären, denn sie widersprächen allem, was ich nach schmerzhaften Erfahrungen zu akzeptieren gelernt hätte: nämlich, daß der Zustand gesteigerter Bewußtheit möglich sei als ein kompliziertes, wenngleich unerklärliches Manöver, das Don Juan durchführte, um meine Wahrnehmung zu manipulieren. In all den Jahren unserer Verbindung habe er mich immer wieder durch einen Schlag auf den Rücken in ein gesteigertes Bewußtsein versetzt. Auf diesen Widerspruch wies ich ihn jetzt hin.
Der Schlag auf den Rücken, erwiderte er, sei eher ein Trick, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln, und nicht beabsichtigt als Manöver, um meine Wahrnehmung zu manipulieren. Und zwar ein simpler Trick, wie er fand, in Übereinstimmung mit seinem maßvollen Charakter. Er meinte allen Ernstes, ich hätte Glück gehabt, daß er ein so schlichter Mensch sei, und nicht zu bizarrem Verhalten veranlagt. Andernfalls hätte ich, statt simpler Tricks, groteske Rituale über mich ergehen lassen müssen, bevor es ihm möglich gewesen wäre, alle Zweifel aus meinem Denken zu verbannen, damit der Geist meinen Montagepunkt bewegen konnte.
»Damit die Magie von uns Besitz ergreifen kann, brauchen wir nichts anderes zu tun, als die Zweifel aus unserem Denken zu verbannen«, sagte er. »Sobald die Zweifel beseitigt sind, ist alles möglich.«
Er erinnerte mich an ein Ereignis, dessen Zeuge ich vor etlichen Monaten in Mexico City geworden war; es war mir ganz unbegreiflich geblieben, bis er es mir anhand des Denkmodells der Zauberei erklärt hatte.
Was ich damals miterlebte, war eine chirurgische Operation, ausgeführt von einer berühmten Geistheilerin. Der Patient war ein Freund von mir. Die Heilerin war eine Frau, die sich in eine sehr aufregende Trance versetzte, um ihn zu operieren.
Ich konnte beobachten, daß sie mit einem Küchenmesser seine Leibeshöhle in der Nabelgegend aufschnitt, seine kranke Leber herausnahm, sie in einem Eimer voll Alkohol wusch und wieder an ihren Platz legte, um die unblutige Öffnung durch den bloßen Druck ihrer Hände zu schließen.
Eine Anzahl von Menschen in dem halbdunklen Raum waren Zeugen der Operation. Einige waren anscheinend interessierte Beobachter wie ich. Andere waren offenbar Gehilfen der Heilerin.
Nach der Operation sprach ich kurz mit den anderen Beobachtern. Alle pflichteten bei, sie hätten dieselben Vorgänge gesehen wie ich. Als ich mit meinem Freund, dem Patienten, sprach, berichtete er, er habe die Operation als dumpfen, anhaltenden Schmerz im Bauch empfunden und als brennendes Gefühl in seiner rechten Flanke.
All dies hatte ich Don Juan erzählt, und ich hatte sogar eine klinische Erklärung gewagt. Das Halbdunkel in dem Zimmer, so sagte ich ihm, begünstigt meines Erachtens alle möglichen Taschenspielertricks, wodurch der Eindruck
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