Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
Kontinuität nie mehr dieselbe, sobald sein Montagepunkt den Platz ohne Erbarmen erreicht hat.
Weil du schwerfällig bist«, sagte Don Juan zu mir, »ist dir noch nicht aufgefallen, daß du seit jenem Tag in Guaymas jegliche Art von Diskontinuität zu akzeptieren vermagst - natürlich erst nach einem scheinbaren Rückzugsgefecht deiner Rationalität.«
Seine Augen leuchteten vor Lachen.
»An diesem Tag hast du die Maske für deine Rücksichtslosigkeit erworben«, fuhr er fort. »Deine Maske war natürlich nicht so weit entwickelt, wie sie es heute ist. Aber damals fing etwas an, was mittlerweile deine Maske der Großzügigkeit geworden ist.«
Ich protestierte. Die Vorstellung einer maskierten Rücksichtslosigkeit gefiel mir gar nicht - egal, wie er die Sache auslegte. »Verschwende deine Maske nicht an mich«, sagte er lachend. »Spare sie dir für eine bessere Zielscheibe - für jemand, der dich nicht so gut kennt.«
Er verlangte, ich solle mich genau auf den Augenblick besinnen, als diese neue Maske entstand.
»Als die kalte Wut dich überfiel«, fuhr er fort, »hattest du das Bedürfnis, sie zu maskieren. Aber was machtest du? Du machtest keine Späße über deine Wut, wie mein Wohltäter es getan hätte. Du diskutiertest nicht vernünftig darüber, wie ich es getan hätte. Du gabst dir nicht den Anschein, als wärst du von deiner Wut fasziniert, wie der Nagual Elias es getan hätte. Das sind die drei Nagual-Masken, die ich kenne. Was machtest du also? Du gingst ruhig zu deinem Auto und verschenktest - großzügig - die Hälfte deiner Pakete an den Kerl, der sie dir tragen half.«
Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich gar nicht daran erinnert, daß jemand mir die Pakete zum Wagen tragen half! Ich erzählte Don Juan, damals hätte ich Lichter vor meinen Augen tanzen sehen und geglaubt, dies sei ein Zeichen dafür, daß ich nahe daran war, vor Wut in Ohnmacht zu fallen.
»Du warst nicht nah daran, in Ohnmacht zu fallen«, sagte Don Juan. »Du warst nah daran, in einen Traumzustand zu geraten und aus eigener Kraft den Geist zu sehen - genau wie Talia und mein Wohltäter.« Ich beteuerte Don Juan, ich hätte die Päckchen nicht aus Großzügigkeit verschenkt, sondern aus kalter Wut. Ich hätte irgend etwas tun müssen, um mich zu beruhigen. Und dies sei mir als Erstbestes eingefallen.
»Da haben wir's, wie ich dir sage: Deine Großzügigkeit ist nicht echt«, antwortete er- und lachte über mein verblüfftes Gesicht.
Die Fahrkarte zur Makellosigkeit
Während Don Juan vom Zerbrechen des Spiegels der Selbstbetrachtung erzählte, war es ganz dunkel geworden. Ich sagte, daß ich sehr müde sei; wir sollten auf den Rest unseres Ausflugs verzichten und nach Hause zurückkehren. Don Juan aber meinte, wir sollten jede Minute unserer restlichen Zeit nutzen, um meinen Montagepunkt möglichst oft in Bewegung zu setzen und uns auf diese Weise auf die Geschichten der Zauberei zu besinnen.
Ich war in der Laune, mich zu beklagen. Ein so tiefer Erschöpfungszustand, wie ich ihn erlebte, könne nur zu Unsicherheit und mangelnder Überzeugung führen.
»Deine Unsicherheit ist nicht verwunderlich«, sagte Don Juan ungerührt. »Immerhin hast du eine neue Art von Kontinuität kennengelernt. Es dauert ein Weilchen, bis man sich daran gewöhnt. Die Krieger verbringen Jahre in einem Limbus, wo sie weder Durchschnittsmenschen noch Zauberer sind.«
»Und was passiert am Ende?« fragte ich. »Entscheiden sie sich für eine oder die andere Seite?«
»Nein. Für sie gibt es keine freie Entscheidung«, antwortete Don Juan. »Es wird ihnen lediglich bewußt, was sie bereits sind: nämlich Zauberer. Das Problem ist, daß der Spiegel der Selbstbetrachtung eine starke Sogwirkung ausübt und seine Opfer erst nach erbitterten Kämpfen freigibt.«
Don Juan machte eine Pause und schien sich in Gedanken zu verlieren. Sein Körper geriet in eine Starre, wie ich sie schon früher an ihm beobachtet hatte; meistens dann, wenn er sich - wie ich es ausgedrückt hätte - seinen Phantasien überließ. Er aber schilderte diesen Zustand als eine Situation, wo sein Montagepunkt sich bewegte und er sich zurückerinnern konnte.
»Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Sie handelt von der Fahrkarte eines Zauberers zur Makellosigkeit«, sagte er plötzlich nach einer halben Stunde des Schweigens. »Ich werde dir die Geschichte meines Todes erzählen.«
Und er erzählte, was ihm nach seiner Ankunft in Durango passiert war - noch immer in
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