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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Frauenkleidern, nach monatelanger Reise durch Zentralmexiko. Der alte Belisario, sagte er, habe ihn auf eine Hazienda gebracht, um ihn vor dem Ungeheuer zu verstecken, das ihn noch immer verfolgte.
    Dort angekommen, machte sich Don Juan mit allen Bewohnern des Hauses bekannt - ganz entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung. Es waren sieben schöne Frauen und ein merkwürdiger, ungeselliger Mann, der nie ein Wort redete. Don Juan belustigte die schönen Frauen mit seiner Erzählung, wie das Ungeheuer ihn fangen wollte. Und sie waren entzückt über seine Verkleidung, die er noch immer trug - und über die damit verbundene Geschichte. Nie wurden sie es müde, sich die Erlebnisse seiner Reise anzuhören, und alle gaben ihm gute Ratschläge, wie er sein auf der Reise erworbenes Wissen erweitern könnte. Was Don Juan am meisten überraschte, war ihre selbstbewußte Haltung und Sicherheit.
    Die sieben Frauen waren wunderbare Wesen und machten ihn glücklich. Er liebte sie und vertraute ihnen. Sie behandelten ihn mit Respekt und Rücksicht. Doch irgend etwas in ihren Augen verriet ihm, daß hinter der Fassade ihres Charmes eine furchtbare Kälte lag - eine Distanziertheit, die er nie würde überwinden können. Irgendwann verfiel er auf den Gedanken, daß diese starken, schönen Frauen, weil sie so unbefangen und achtlos gegen Formalitäten waren, leichtfertige Frauen sein müßten. Aber er merkte bald, daß sie es nicht waren.
    Don Juan konnte sich frei auf dem ganzen Besitz bewegen. Verwirrt bestaunte er das große Herrenhaus und den Park. Nie hatte er etwas Ähnliches gesehen. Es war ein altes, schönes Haus im Kolonialstil, umgeben von einer hohen Mauer. Innen gab es Balkons mit Blumenkästen und Patios mit Obstbäumen, die Schatten und Stille spendeten.
    Im Parterre gab es Wandelgänge rund um die Patios und große, luftige Zimmer. Im Obergeschoß gab es geheimnisvolle Privatzimmer, die Don Juan nicht betreten durfte.
    Was Don Juan am meisten verwunderte, war das große Interesse, das die Frauen in diesen Tagen an seinem Wohlergehen nahmen. Sie taten alles für ihn. Sie schienen an seinen Lippen zu hängen. Noch nie waren Menschen so freundlich zu ihm gewesen. Aber - noch nie hatte er sich so einsam gefühlt. Er war dauernd in Gesellschaft dieser schönen, wunderbaren Frauen - und doch fühlte er sich so allein.
    Dieses Gefühl des Alleinseins, dachte Don Juan, käme daher, daß er weder das Verhalten der Frauen verstand, noch ihre wahren Gefühle kannte. Er wußte von ihnen nur, was sie selbst ihm erzählten.
    Einige Tage nach seiner Ankunft schenkte ihm die Frau, die er für die Anführerin der anderen hielt, einen fabrikneuen Anzug. Er brauche sich nicht mehr als Frau zu verkleiden, sagte sie. Denn das Ungeheuer - was immer es sein mochte - ließ sich nicht mehr blicken. Und sie sagte, er könne gehen, wohin er wolle.
    Don Juan bat, mit Belisario sprechen zu dürfen, den er seit seiner Ankunft nicht wiedergesehen hatte. Die Frau sagte, daß Belisario fortgegangen sei. Er habe jedoch Nachricht hinterlassen, daß Don Juan im Haus bleiben dürfe, solange es ihm gefiele - aber nur, falls er in Gefahr schwebte.
    Don Juan beteuerte, er schwebe in tödlicher Gefahr. Solange er in diesem Hause lebte, hatte er jeden Tag das Ungeheuer gesehen, wie es durch die Felder streifte und um das Haus schlich. Die Frauen glaubten ihm nicht und bezeichneten ihn glatt als Schwindler. Er heuchele nur, das Ungeheuer zu sehen, damit sie ihm weiterhin Obdach boten. Aber ihr Haus sei kein Asyl für Müßiggänger, sagten sie. Sie wären ernsthafte, hart arbeitende Leute und könnten es sich nicht leisten, einen Schnorrer freizuhalten.
    Don Juan war beleidigt. Er rannte aus dem Haus, aber als er das Ungeheuer entdeckte, das in den Büschen neben der Einfahrt lauerte, siegte seine Angst rasch über seine Wut.
    Er lief ins Haus zurück und flehte die Frauen an, ihn bei sich zu behalten. Er wolle arbeiten wie ein Knecht - und ohne Lohn, solange er nur auf der Hazienda bleiben durfte.
    Sie waren einverstanden. Allerdings mußte Don Juan zwei Bedingungen akzeptieren. Er durfte keine Fragen stellen, und er mußte tun, was man ihm auftrug, ohne Erklärungen zu verlangen. Sollte er jemals gegen diese Regeln verstoßen, dann würde er seinen weiteren Aufenthalt in dem Haus gefährden.
    »Du kannst dir denken, ich blieb nur unter Protest in dem Haus«, setzte Don Juan seine Erzählung fort. »Es fiel mir schwer, die Bedingungen zu akzeptieren. Aber ich

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