Die Kreatur
nicht aufhören, darüber nachzudenken und mir Fragen zu stellen … Sagen Sie, ist es möglich, dass das, was Harker zugestoßen ist, auch mir zustoßen könnte?«
»Nein. Ich sagte dir doch schon, dass er einzigartig war, die ganz große Ausnahme.«
»Aber, Sir, ich bitte um Verzeihung, falls das unverschämt klingen sollte … ich meine nur, wenn Sie beim ersten Mal nicht erwartet haben, dass es dazu kommt, wie können Sie dann sicher sein, dass es nicht noch einmal passieren wird?«
Victor streifte seine Latexhandschuhe ab und sagte: »Verdammt noch mal, Ripley, lass das mit deinen Augenbrauen sein.«
»Mit meinen Augenbrauen, Sir?«
»Du weißt genau, was ich meine. Mach hier sauber.«
»Sir, ist es möglich, dass Harkers Bewusstsein, die Substanz seines Geistes, in irgendeiner Form auf sein zweites Ich übergegangen ist?«
Während er den Arztkittel auszog, den er über seiner Straßenkleidung trug, und auf die Tür des Sezierraums zuging, sagte Victor: »Nein. Es war eine parasitäre Mutation, die höchstwahrscheinlich nicht einmal auf der primitiven Bewusstseinsstufe eines Tieres stand.«
»Aber, Sir, wenn dieses koboldartige Ding doch kein Ding ist, Sir, sondern wenn es sich dabei tatsächlich um Harker
selbst handelt und er jetzt in der Kanalisation lebt, dann ist er frei.«
Das Wort frei bewirkte, dass Victor abrupt stehen blieb. Er drehte sich um und starrte Ripley an.
Als Ripley seinen Fehler erkannte, ließ die Furcht seine absurd hochgezogenen Augenbrauen herabsinken. »Ich will damit nicht andeuten, was Harker zugestoßen ist, könnte in irgendeiner Form erstrebenswert sein.«
»Nein, Ripley? Wirklich nicht?«
»Nein, Sir. Ganz bestimmt nicht. Was ihm passiert ist, ist entsetzlich.«
Victor starrte ihn an. Ripley wagte es nicht, auch nur noch ein weiteres Wort zu sagen.
Nachdem sie beide lange geschwiegen hatten, sagte Victor: »Es sind nicht nur deine Augenbrauen. Du bist auch nervös und viel zu leicht erregbar, Ripley. Das ist wirklich ärgerlich. «
28
Während er sich zaghaft und voller Ehrfurcht durch die Küche bewegt, malt sich Randal sechs aus, das müsse es sein, was ein frommer Mönch in einem Tempel fühlt, vor einem geweihten Altar.
Zum ersten Mal in seinem Leben befindet sich Randal in einem privaten Haushalt. In der Barmherzigkeit hatte er gewohnt, doch ein Zuhause war es nie für ihn gewesen. Es war nichts weiter als ein Aufenthaltsort gewesen. Er hat keine Gefühle investiert.
Für die Alte Rasse ist ihr Zuhause der Mittelpunkt des Daseins. Das Zuhause ist die erste Zuflucht vor – und das letzte
Bollwerk gegen – Enttäuschungen und Schrecken, die das Leben mit sich bringt.
Das Herz eines Hauses ist die Küche. Er weiß, dass das wahr ist, denn er hat es in zwei verschiedenen Zeitschriften gelesen, einem Magazin für schöneres Wohnen und einem anderen mit Rezepten für leichte Kost.
Dazu kommt noch, dass ausgerechnet Martha Stewart diese Behauptung für wahr erklärt hat, und Martha Stewart wird von der Alten Rasse als oberste Autorität in solchen Angelegenheiten gefeiert.
Bei Abendeinladungen zieht es enge Freunde und Nachbarn häufig in die Küche. Zu den glücklichsten Erinnerungen einer Familie zählen gemeinsame Momente in der Küche. Nach Angaben der Philosophen der Alten Rasse geht die Liebe durch den Magen, und nichts verleiht ihr so gut Ausdruck wie eine leckere Mahlzeit, die auf dem Herd gekocht worden ist, und der Herd steht in der Küche.
Die Jalousien sind halb heruntergelassen. Die Sonne des Spätnachmittags, die auf die Fensterscheiben trifft, ist vorher durch das Laub der Eichen gefiltert worden. Randal sieht trotzdem genug, um den Raum zu erkunden.
Leise öffnet er Schranktüren und entdeckt Teller, Tassen, Untertassen und Trinkgläser. In Schubladen findet er zusammengefaltete Geschirrtücher, Essbesteck, Küchenmesser und eine verwirrende Ansammlung von Küchenutensilien und Zubehör, das man zum Kochen braucht.
Normalerweise stürzen zu viele neue Anblicke und zu viele unvertraute Gegenstände Randal in Panikanfälle. Oft ist er gezwungen, sich in eine Ecke zurückzuziehen und der Welt den Rücken zu kehren, um den Schock zu überleben, der durch eine Überfülle von Sinneswahrnehmungen ausgelöst wird.
Aus irgendwelchen Gründen setzt ihm der überwältigende Reichtum an neuen Erfahrungen in dieser Küche nicht in der
gewohnten Weise zu. Anstelle von Panik überkommt ihn … reinstes Entzücken.
Vielleicht liegt es daran, dass er
Weitere Kostenlose Bücher