Die Kreuzfahrerin
sich, zogen am Halfter des Esels und reihten sich wieder in den Zug ein. Sie hatten keine Lust, mit der Peitsche des Reiters Bekanntschaft zu machen. Angesichts der Stadt schienen alle ihre Schritte zu beschleunigen, doch gleichzeitig geriet der Zug doch immer wieder ins Stocken, da alle, die vor den Mauern ankamen, zuerst stehenblieben und sich unschlüssig waren, wohin sie sich wenden sollten. So war es bereits später Nachmittag, als auch Hilde und Ursula ankamen. Vor den Mauern Konstantinopels hatte sich da bereits eine Stadt ohne Häuser ausgebreitet. Ursula schnaufte verächtlich. Die ersten mochten vielleicht vor weniger als einem Tag hier angekommen sein, aber schon breitete sich vor den Mauern eine Wolke von Gestank, Dunst und Staub aus, die den beiden Frauen den Atem verschlug. Langsam schoben sie sich zwischen die ersten Zelte voran. Auf den ersten Feuern standen bereits Kessel. Ein Wandermönch in seiner löchrigen Kutte stand auf einem Fass und versuchte, die nachrückenden Pilger zu freien Plätzen zu dirigieren. Aber niemand beachtete seine Rufe. Vor einem größeren Zelt saßen Frauen mit bunten Bändern an ihren Kleidern. Sie lachten und versuchten, den ein oder anderen Pilger mit obszönen Gesten und Bemerkungen in ihr Zelt zu locken. Besonders Reiter hatten es ihnen angetan, und auch die Soldaten, die den Zug begleitet hatten, waren vor ihnen nicht sicher. Sie sprangen auf, näherten sich den Pferden, umschlangen die Beine des Reiters und griffen auch weiter nach oben.
Angewidert drängte Ursula ihren Esel in eine andere Richtung. Sie passierten einen notdürftig errichteten Pferch, in dem Schweine und Ziegen eng aneinander gedrängt standen und aufgeregt Laute sowie Exkremente von sich gaben. Es stank erbärmlich, und der Esel wollte kaum noch vorwärts. Zwischen zwei Zelten sah Ursula den nackten Hintern eines Mannes, der sich gerade erleichterte. Schlimmer als der Gestank war für Ursula allerdings all das Geschrei. Sie fühlte sich wie im tosenden Wind eines Sturmes, tiefe Männerstimmen brüllten rauh Befehle, Frauen kreischten in schrillen Tönen, Kinder weinten, und dazu mischte sich Bellen, Wiehern und Blöken, Quieken und Schnattern. Ursula hielt sich unwillkürlich ihre freie Hand über ein Ohr. Sie wollte weg von hier. Zwischen einigen Feuern entdeckte sie so etwas wie eine Gasse. Zusammen mit Hilde gelang es ihr, den Karren aus dem Hauptstrom zu ziehen. Mit eiligen Schritten zog sie den Esel und auch die Freundin hinter sich her, bis sie an den Rand des sich immer weiter ausbreitenden Lagers gelangten. Sie blieben nur kurz stehen, doch schon waren sie umringt von nachrückenden Pilgern, die sogleich damit begannen, ihre Zelte aufzuschlagen. Ursula gab dem Esel einen Klaps und suchte das Weite. Erst als sie sich ein ganzes Stück von den anderen Pilgern entfernt hatten, schaute sie sich nach einem passenden ebenen Platz für das Lager um. Sie entschied sich, näher an die Mauer zu rücken. Die ganze Zeit hatte sie, ohne ein Wort zu verlieren, die Initiative ergriffen. „Hier“, bestimmte sie nun und drehte sich zu Hilde um. Jetzt erst bemerkte sie, dass auch Raimund aus Xanten ihr gefolgt war. „Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte dieser nun scherzhaft. „Nur damit ich nicht mein Bündel abwerfe, um es gleich wieder auf meinen geschundenen Rücken heben zu müssen.“
Hilde lachte. „Ursula, manchmal versetzt du mich wirklich in Erstaunen. Du hattest, als wir uns durch die Menge schoben, ein Gesicht, dem niemand zu widersprechen wagt. Du hast gar nicht gemerkt, dass so manch einer bei deinem Anblick das Weite suchte.“ Hildes Lachen war ansteckend, und doch wurde Ursula rot und suchte sich zu verteidigen. „Ich hatte einfach Angst, niedergetrampelt zu werden, und außerdem stank es dort erbärmlich. Riech mal, hier ist die Luft noch gut.“ Deutlich sog sie Luft durch ihre Nase. Instinktiv hatte sie sich gegen den leichten Wind bewegt, und der wehte den Dunst des Lagers von ihnen weg und brachte ein ganz anderes, Ursula unbekanntes Aroma mit sich. „Wonach riecht es hier?“, fragte sie.
„Das wird das Meer sein“, antwortete Hilde ihr, die auch prüfend schnüffelte. „Nun lasst uns aber schnell das Lager aufschlagen, bevor andere uns den besten Platz wegnehmen. Schaut, das Lager breitet sich immer weiter aus, und bald werden die ersten auch hier ankommen.“
Hilde hatte recht, wie der Inhalt eines umgestoßenen Honigtopfes breitete sich die unüberschaubare Menge
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