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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nowicki
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war ihr, als wäre sie nur einen kleinen Augenblick eingenickt. Raimunds Schnarchen allerdings zeigte ihr, dass sie nicht einmal mehr mitbekommen hatte, dass er ins Zelt gekrochen war.
    Sie stand auf, und Hilde legte sich auf den Sack. Ursula trat vor das Zelt. Die Nacht war frisch, und fröstelnd wickelte sie sich in ihre Decke. Die meisten Feuer waren heruntergebrannt, und nur in nächster Nähe konnte Ursula noch einige Glutnester glimmen sehen. Ursula setzte sich an das Feuer, legte ein Stück Holz nach und horchte auf die Geräusche um sie herum. Sie hörte das Schnaufen und Scharren der Tiere, Schnarchen von Menschen, irgendwo wimmerte ein Kind. Von Zeit zu Zeit war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, auf dem ein Soldat entlang des Lagers patrouillierte. Sonst tat sich nichts. Ihre Gedanken richteten sich auf all das Unbekannte, das vor ihnen lag. Sie war gespannt auf Konstantinopel. Aus den Erzählungen der Flößer wusste sie, es war eine große, befestigte Stadt, die am Meer lag. Ein Meer, das wusste sie mittlerweile, war ein See, größer als jeder See, den sie sich vorstellen konnte. Aber das konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen. Kilian hatte erzählt, bei Konstantinopel sei das Land zu Ende und sie müssten über einen Meeresarm übersetzen, um in das Land zu kommen, in dem Jerusalem lag. Wie groß war die Welt? Wie weit war es noch bis Jerusalem? Ursula konnte sich diese Fragen nicht beantworten, sie war sich nur klar darüber, dass es sehr viel mehr auf Erden gab, als sie es sich hatte früher vorstellen können. Mit jedem Schritt, den sie gegangen waren, hatte sich die Welt vergrößert. Die Nacht wurde dunkler und kälter. Ursula hatte bereits viele Male etwas Holz nachgelegt, und sie spürte, wie ihr die Augenlider schwer wurden. Sie stand auf, schaute noch kurz nach dem Esel und weckte dann Raimund.
    In dieser Nacht musste Ursula nicht noch einmal wachen. Ungewohnte Töne rissen sie am Morgen aus dem Schlaf. Die Soldaten bliesen in Hörner und signalisierten, dass alle sich zum Aufbruch richten sollten. Von einem Moment auf den anderen wurde aus der Ruhe des frühen Morgens eine hektische Unruhe, voller Gebrüll und Rufen. Auch Ursula, Hilde und Raimund brachen sofort ihr Zelt ab, luden alles wieder auf den Karren, schirrten den Esel an, und erst danach nahmen sie am Feuer etwas Brot und einen Streifen gedörrtes Fleisch zu sich. Ein weiteres Hornsignal rief zum Aufbruch, und der Zug begab sich zurück auf die Straße. Ursula und Hilde erfuhren von denen, die in ihrer unmittelbaren Nähe mitliefen, wie unterschiedlich doch die Menschen waren, die an der Wallfahrt teilnahmen. Sie kamen aus vielen verschiedenen Gegenden, und alle erhofften sich Seelenheil und Wohlstand. Es gab auch Kerle von recht zweifelhafter Gesinnung, die mit all den Verbrechen prahlten, die sie seit ihrem Aufbruch begangen hatten. Aber die meisten waren doch so wie Hilde und Ursula selbst Menschen, denen das Schicksal hart mitgespielt hatte und die außer dem eigenen Leben nichts zu verlieren hatten.
    Drei Tage, nachdem Ursula und Hilde auf den Treck gestoßen waren, ging ein Ruck durch die Reihen. In der Ferne war eine mächtige Stadtmauer zu sehen und dahinter Dächer, Türme und Kuppeln in großer Menge. „Konstantinopel!“, erscholl es aus unzähligen Kehlen, und wie Insekten angezogen vom Licht beschleunigten alle ihre Schritte. Das erste große Ziel war fast erreicht.

Vor den Mauern Konstantinopels,
2. August 1096
    Dieses Bild würde Ursula nie vergessen. Auf einmal war sie da, noch weit entfernt, aber schon größer als sie es sich hätte träumen lassen. Dächer, Kuppeln, Türme und davor mächtige, hohe Mauern. Die Stadtmauer von Konstantinopel glich einem riesigen Bollwerk, gegen das nun die erste Welle der Pilger brandete. So eindrucksvoll wie der Anblick dieser Stadt war es jetzt, zum ersten Mal einen Überblick über die Menge der Wallfahrer zu haben. Die Flut der unzähligen Menschen wurde vor der Stadt jäh gestoppt. Offensichtlich ging es nicht hinein, und die zurückgeworfene Welle breitete sich in alle Richtungen aus. Vom Hügel herab, auf dem Ursula und Hilde standen, glich das, was sie sahen, einem Ameisenzug, dem man einen Fuß in den Weg gestellt hatte. Doch lange konnten sie sich an dem Schauspiel nicht ergötzen. Schon kam einer der Soldaten angeritten und brüllte sie an. „Geht! Geht! Weiter!“, rief er ihnen zu und fuchtelte dabei mit einem Arm in Richtung Stadt. Ursula und Hilde sputeten

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