Die Kreuzfahrerin
dass es hier fast nirgends schlecht zu riechen scheint?“
„Ja, und ich frage mich die ganze Zeit, wo die Menschen alle ihre Notdurft verrichten, denn auch ich verspüre ein dringendes Verlangen danach“, antwortete diese mit gequältem Blick.
„Makis, Makis!“, rief Ursula ihren Führer zurück. „Wo kann man hier …“ Sie wusste nicht, wie sie es einem Mann gegenüber beschreiben sollte. Hilde hielt sich den Bauch und machte Anstalten, in die Hocke zu gehen. Makis schaute die beiden Frauen verstört an. „Ich muss mal!“, rief Hilde, immer noch deutlich in die Hocke gehend. Jetzt schien Makis zu begreifen. „Schnell, schnell. Komm du“, rief er seinerseits und zog Hilde hinter sich her. Am Rande des Marktplatzes schubste er sie durch eine Türöffnung. Er selbst blieb draußen stehen. Es dauerte eine Weile, und Hilde kam mit hochrotem Kopf wieder heraus. „Ursula, das musst du dir ansehen. Wenn du auch musst, so etwas hast du noch nicht gesehen.“ Neugierig betrat auch Ursula den niedrigen Bau und sah sich darin um. Sie war nicht alleine, ein paar Frauen hatten ihre Kleider geschürzt und hockten auf glatten Steinplatten mit Öffnungen. Ursula begriff und tat es ihnen gleich. Sie wunderte sich. Es stank hier weniger als aus dem Eimer, den sie daheim gehabt hatten. Aus einem Rohr an der Wand floss Wasser, und die anderen Frauen wuschen sich, nachdem sie aufgestanden waren, dort die Hände. Ursula folgte dem Beispiel und trat wieder hinaus auf den Platz. Makis wollte nun weiter, doch Hilde und Ursula hatten fürs erste genug. Hilde gab Makis einen Heller und bat ihn, sie zurück zum Stadttor zu bringen. Nach dem Marsch kreuz und quer durch die Stadt erwarteten sie, dass es ein weiter Weg sein würde, doch Makis brachte sie auf eine große Straße und wies ihnen die Richtung. „Dort ist Tor“, sagte er, verbeugte sich zum Dank und war in der Menschenmenge verschwunden. Hilde und Ursula liefen mit der Menge auf den Mauerring zu, der die Stadt vom Land her umschloss. Sie kamen zum Tor und fanden sich auf der anderen Seite wieder in der Vorstadt. Von dort war es nicht schwer, zu ihrem Zelt zurückzufinden. Als sie zu ihrem Feuer traten, mussten sie schallend lachen, denn bei all dem Staunen hatten sie völlig vergessen, etwas zu essen zu kaufen. Als Raimund die Ankommenden danach fragte, brachen sie in fast hysterisches Gelächter aus. „Raimund, verzeih, wir haben nichts“, prustete Hilde zwischen dem Lachen. Als sie sich endlich wieder beruhigt hatten, erzählten sie dem Xantner, was sie alles Unglaubliches gesehen hatten. Ursula versprach, am nächsten Tag mit ihm durch die Mauern zu gehen. Dann begannen sie mit dem, was sie noch hatten, ein Abendbrot zu bereiten, und Raimund steuerte zwei Fladenbrote bei, die er von den Soldaten erhalten hatte.
Nach dem Essen nahm Hilde Ursula beiseite. „Ursula, wir haben nicht mehr viel Geld“, sagte sie. „Bleib du hier bei Raimund, ich will mal schauen, ob ich nicht einem gestandenen Mannsbild gefallen kann.“
„Aber“, wandte Ursula mit hochgezogener Augenbraue ein, „du hast doch gesehen, die meisten hier sind schlechter dran als wir.“
„Ich geh nicht zu den Pilgern. Ich versuche mein Glück bei den Soldaten. Die sind überall auf der Welt gleich. Glaube mir.“
Ursula ließ Hilde gehen. Auch wenn ihr nicht wohl war bei dem Gedanken, irgendwie mussten sie zu Geld kommen, wenn sie sich ihr Essen nicht erbetteln wollten. Vielleicht würde auch sie selbst sich für ein paar Münzen anbieten, wenn es gar nicht anders ging. Sie setzte sich wieder zu Raimund an das Feuer und schwärmte weiter von all dem, was sie gesehen hatte.
Trotz der Erzählungen der beiden Frauen war Raimund nicht weniger erstaunt, als Ursula ihn am nächsten Tag über die Prachtstraße der Stadt führte. „Wenn diese Stadt schon so reich und groß ist“, sagte er zu Ursula, „wie wird es dann erst in Jerusalem sein. Komm, zeig mir die große Kirche, von der du erzählt hast!“
Stolz führte Ursula den Freund durch die Stadt, selbst erstaunt darüber, wie gut sie sich doch zurechtfand. Auch bei ihrem zweiten Besuch hinterließ die Hagia Sophia in ihr einen tiefen Eindruck. Sie kam sich sehr klein und unbedeutend vor angesichts solcher Pracht und Größe. „Ich bin eine Sünderin“, sprach sie leise ein Gebet. „Doch, Herr Gott, ich danke dir für die Gnade, all dies schauen zu dürfen.“ Und sie schlug sich vor die Brust. Würde sie ihr Ziel erreichen? Frei von ihrer
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