Die Kreuzfahrerin
Schließlich erreichten sie einen Turm, der mehr als zwanzig Männer hoch schien. In ihm befand sich ein Tor, und zu Hildes Erstaunen herrschte da, trotz Wachen, ein reges Kommen und Gehen. Unbehelligt konnten auch sie in den Schatten des Torbogens treten. Hinter der gewaltigen Stadtmauer befanden sie sich noch nicht in der Stadt, aber schon hier war Trubel. Der Weg, den sie nahmen, behielt die Breite des Torbogens bei und führte schnurgerade zwischen die ersten Gebäude. Über den Dächern erhoben sich überall Kuppeln und Türme. Selbst Hilde, die so schnell nicht aus der Fassung zu bringen war, stand der Mund sprachlos vor Staunen offen. Sie folgten dem stetigen Fluss der Menschen die Straße hinauf. Was sie neben der Größe überraschte, war eine Sauberkeit der Straße, die sie so nicht kannten. Das Stimmengewirr um sie herum war fremd, und nur ab und an sahen sie Leute, die so wie sie Kreuze auf der Kleidung trugen.
Ein Mann hielt die beiden staunenden Frauen auf. „Ich führe, zeige euch Stadt“, pries er seine Dienste an.
„Was willst du dafür?“, fragte Hilde argwöhnisch.
„Eine Münze. Nur wenig“, antwortete der Mann in brüchiger Sprache.
„Ohne einen Führer finden wir sicher nicht mehr aus dieser Stadt heraus“, sagte Hilde zu Ursula und wandte sich wieder dem Mann zu. „Gut, eine Münze“, sagte sie zu ihm. Er nickte erfreut und stellte sich den beiden Frauen vor: „Ich bin Makis. Ich euch zeigen Stadt.“
„Bring uns zur Kirche der Heiligen Sophia“, bat Ursula.
„Ah, Hagia Sophia. Ja, ja, kommt“, antwortete Makis und winkte ihnen ihm zu folgen.
Ursula und Hilde kamen aus dem Staunen nicht heraus. Makis führt sie über große Plätze und durch Prachtstraßen. Und schließlich standen sie vor einem riesigen Gebäude. Ursula und Hilde trauen ihren Augen kaum. „Die Kirchen in Regensburg waren schon groß“, raunte Ursula der Freundin zu, „aber ich glaube, die würden allesamt da hineinpassen.“
Hilde nickte nur. Dieser große Bau flößte ihnen Ehrfurcht ein. Wie erschlagen von soviel Größe folgten sie Makis in das Innere. Hilde schlug sich beide Hände vor den Mund, um ihrem staunenden Schrecken nicht durch einen Aufschrei Luft zu machen. Der Pilger hatte nicht gelogen. Von einer Kuppel herab schaute ein riesiger Herrgott ihnen entgegen, und der Himmel dieser Kirche bestand aus unzähligen kleinen Steinchen, die Bilder formten und in großen Flächen golden schimmerten. Säulen aus glattgeschliffenem, glänzendem Stein, wie Bäume so hoch, trugen das Gewölbe. War dies alles von Menschen erbaut worden? Ursula konnte es sich kaum vorstellen. Makis indes konnte kaum verstehen, warum sich die Frauen nicht sattsehen konnten. Er scheuchte beide mit leisen zischenden Lauten vor sich her und wieder aus der Kirche heraus. „Kommen, kommen!“, rief er ihnen zu. „Noch viel sehen. Schnell, schnell kommen!“
„Ja, ja, wir schnell kommen“, grunzte Hilde. Ihr lief bereits der Schweiß über das runde Gesicht. Makis kannte aber keine Gnade. Er führte die Frauen auf den Hügel des Palastes, der sie nicht weniger beeindruckte als der Ausblick auf die Stadt, den sie von dort hatten. Es war ein Meer von Dächern, Kuppeln und Türmen, zwischen denen sich breite Straßen erkennen ließen. Jenseits der Dächer sahen die Frauen das Blau des Meeres. Ursula konnte kaum glauben, dass es ein Wasser gab, welches noch größer und weiter als die Donau war. Makis deutete auf den Hafen und die Meerenge. „Jerusalem“, erklärte er. „Wenn du nach Jerusalem, dann musst du dorthin gehen und weiter.“
Ursula verstand. Wenn sie nach Jerusalem wollten, mussten sie über die Meerenge und dann durch das Land, das sich dahinter erstreckte. Makis führte sie wieder vom Hügel hinunter und brachte sie zu einem Markt. Hilde und Ursula trauten ihren Augen kaum. Hier wurde nicht mit Gemüse, Obst und Fleisch gehandelt, sondern mit Geld. Auf den Tischen der Händler lag es zu Bergen aufgehäuft oder in einzelnen Schüsseln. „Jetzt weißt du, warum die Stadt solche Mauern hat“, sagte Hilde zu Ursula. „Solcher Reichtum, unglaublich.“
Vom Geldmarkt führte Makis sie durch engere Straßen auf andere Märkte. Es gab Stoffe, Tiere, Essen und Gewürze. Ursula konnte kaum mehr dem Verlangen ihrer Sinne nachkommen. Zuviel gab es für ihre Augen zu sehen, für die Ohren zu hören und erst recht für ihre geschulte Nase zu riechen. „Hilde“, rief sie ihrer Freundin zu, „ist dir aufgefallen,
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