Die Kreuzfahrerin
zu hören. Nicht lange, und Hilde musste bereits die ersten Gestalten von ihren Karren vertreiben. Auch an ihrem Feuer, neben dem Breikessel, versammelte sich verlumptes Gesindel. Ursula nahm ihren Wanderstab und stellte sich schützend vor ihren Kessel.
„Geht weg!“, rief sie die Leute an. „Wir haben nichts zum Teilen. Macht, dass ihr an euer eigenes Feuer kommt, oder ihr lernt meinen Stab kennen.“ Sie selbst wusste nicht, woher sie den Mut nahm, aber die Leute flößten ihr Furcht ein, und ihr Aufbegehren war eigentlich Verzweiflung. Doch es zeigte Wirkung; als Hilde auch mit einem Stab in der Hand hinzutrat, zogen sich die Leute zurück.
„Wir werden über die Nacht abwechselnd Wache halten müssen“, seufzte Hilde. „Sonst haben wir bei Anbruch des neuen Tages nur noch die eigenen Kleider am Leib.“ Sie sprang zum Wagen und hieb einem Kerl, der seinen Kopf zwischen ihre Sachen steckte, auf den Rücken. „Hau ab!“, brüllte sie ihn an. „Hier gibt es nichts.“
„Verdammt, wenn das so weitergeht, werden wir die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen. Ich habe selten so viel Gesindel auf einem Haufen gesehen“, sagte sie zu Ursula, als sie wieder am Feuer stand.
Raimund aus Xanten kam vorbei und gesellte sich zu ihnen. Er hatte einen Fladen Brot in der Hand, von dem er sich Stücke riss, die er gleich in seinen Mund schob.
„Die Soldaten verteilen Brot und Wasser“, berichtete er. „Wenn ihr auch etwas braucht …“ Er wies in die Richtung einiger Reiter, die aus Körben Brot verteilten und umringt waren von denen, die gerade noch um das Feuer der Frauen geschlichen waren.
„Nein, danke, wir haben selbst“, antwortete Ursula und hatte eine Idee. „Bist du mit anderen zusammen unterwegs oder gehst du alleine?“, fragte sie.
„Ach“, antwortete Raimund, „mal so mal so. Aus Xanten sind wir zu fünft losgezogen, alles Knechte wie ich, doch auf dem Weg verloren wir uns aus den Augen. Vielleicht sind die anderen alle auch längst in den Himmel eingegangen. Wer weiß das schon.“
„Möchtest du dich uns anschließen? Wir könnten einen kräftigen Burschen wie dich gebrauchen, und dein Schaden soll es nicht sein. Wir haben Brei, Wasser und auch etwas Wein. Du müsstest uns nur helfen, fremde Hände von unserer Habe fernzuhalten.“
Hilde spitzte die Ohren und nickte dann zustimmend. Dass Ursula auf solch selbstbewusste Art die Initiative ergriff, gefiel ihr. Und der Bursche könnte wirklich von Nutzen für sie sein.
„Einverstanden“, willigte Raimund ein. „Habt ihr ein Zelt?“
„Ja, aber wir schlafen meist einfach unter dem Karren“, antwortete Ursula.
„Es ist besser, ein Zelt aufzuschlagen und alles, was gestohlen werden könnte, mit hineinzunehmen. Das ist auf jeden Fall sicherer, als die Sachen auf dem Wagen zu lassen. In ein Zelt muss man erst eindringen und man weiß nicht, was einen drinnen empfängt. Außerdem sind die Sachen dann besser verborgen und locken keine Neugierigen an.“ Raimund schien Erfahrung zu haben. Hilde fragte sich bloß, ob er selbst bestohlen worden war oder ob er so manche Situation oder Unachtsamkeit zu seinen eigenen Gunsten ausgenutzt hatte. Doch es war gleich. Was er sagte, leuchtete ein. „Na, dann komm und hilf mir“, forderte sie ihn auf und zog ihre Zeltstangen vom Karren.
Mit seiner Hilfe war das Zelt rasch aufgeschlagen. Ursula und Hilde luden ihre Habseligkeiten ab und verstauten sie im Schutz der Planen. Einzig das Holz des Tisches ließen sie auf dem Wagen liegen. Raimund rührte derweil im Kessel.
Mit Wasser und Wein kehrten die Frauen an das Feuer zurück und setzten sich nun ruhiger nieder. Raimund holte aus seinem Beutel einen hölzernen Becher und ließ sich einschenken. Gleich nach dem Essen bestimmte Hilde, wie sie die Nacht verbringen wollten. „Ich bleibe erst einmal wach. Wenn ich müde werde, wecke ich dich, Ursula, und wenn du nicht mehr kannst, soll Raimund die Wache übernehmen. Später kann er mich wieder wecken und so fort. Raimund, wo hast du dein Lager? Du kannst dich auch im Zelt niederlegen.“
„Ich habe nur meine Decke hier. Mit der lege ich mich da hin, wo ich ein Plätzchen finde“, antwortete Raimund.
Ursula stand auf, und nachdem sie das Kochgeschirr verräumt hatte, ließ sie sich auf ihren Strohsack fallen. Es war ungewohnt, die vielen Feuer zeichneten flackernde Schatten auf die Zeltplane, und von überall drangen Geräusche auf sie ein. Sie hatte große Mühe einzuschlafen. Als Hilde sie weckte,
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