Die Kreuzfahrerin
konnten Rufe von Befehlen hören.
„Hilde“, Ursula war ergriffen von dem Anblick, „das ist die Straße nach Konstantinopel, oder? Das ist die große Wallfahrt. Gott hat uns unbeschadet bis hierher geleitet. Komm.“
Sie ergriff das Halfter des Esels, zog an und schritt bergab. Hilde folgte ihr ohne ein Wort. Sorgenfalten beherrschten ihre Stirn. Sie wusste nicht so recht, was sie von dem Anblick halten sollte, und war nicht begeistert von der Vorstellung, sich durch diese Schlange verschlucken zu lassen. Aber sie sagte kein Wort. Es gab eh kein Zurück mehr.
Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten konnten sie ausmachen. Die meisten Menschen waren zu Fuß unterwegs. Männer mit Dreschflegeln, Sensen und Spießen, Frauen mit Kindern, dazwischen Wagen, die von Rindern gezogen wurden, einzelne, vor die Pferde gespannt waren. Dann eine kleine Herde Rinder und Ziegen, die von einer ganzen Reihe Männer getrieben und auf dem Weg gehalten wurde. Menschen und Tiere wirbelten Staub auf, der den gesamten Zug einhüllte und irgendwie unwirklich erscheinen ließ. Kinder schrien, Gänse schnatterten, Schweine, die mit Rutenschlägen zurück auf den Weg getrieben wurden, quiekten schrill. Der Wind wehte ihnen den Staub entgegen und einen Geruch, eine Mischung aus Tierdung, Schweiß, Staub und Schmutz.
Als Hilde und Ursula näherkamen, wurden sie von einem Reiter entdeckt. Der gab seinem Pferd die Sporen und preschte auf sie zu. Er zügelte das Pferd direkt vor ihnen und rief ihnen in einer fremden Sprache etwas zu. Er entdeckte die Kreuze auf ihren Kleidern, brüllte noch bestimmender und wies mit einem Arm auf die Straße.
„Ich glaube er will, dass wir uns schleunigst einreihen“, mutmaßte Hilde. „Er könnte aber durchaus etwas freundlicher sein.“
Ursula zog den Esel hinter sich her, der sich vor der Menschenmenge zu fürchten schien. Nur widerwillig folgte er Ursula auf die Straße und fügte sich in den Zug ein. Hilde musste auf den letzten Metern ebenfalls ins Halfter greifen, und zu zweit zogen die Frauen ihr Zugtier samt Karren in eine Lücke des Zuges. Der Soldat ritt noch einige Augenblicke neben ihnen her.
Ursula musterte die Menschen in ihrer Nähe. Sie sahen alle müde und erschöpft aus. Ihre Kleider waren schmutzig, viele hatten keine Schuhe an den Füßen.
„Wo kommt ihr denn her?“, sprach sie ein Bursche an. Seine Kleider waren bäuerlich, und er trug einen langen Stab, dessen eines Ende angespitzt war.
„Von Norden“, antwortete Hilde ihm. „Wir sind von Regensburg die Donau heruntergekommen.“
„Oh, hattet ihr ein Boot?“
„Nein, Flößer haben uns mitgenommen.“
„Dann seid ihr noch nicht allzu weit gelaufen. Ich bin Raimund, und meine Füße haben mich von Xanten bis hierher getragen. So Gott will, werden sie mich auch noch bis Jerusalem bringen.“
„Ich bin Hilde, und das hier ist meine Freundin Ursula“, stellte Hilde sie vor. „Weißt du, wie weit es noch bis Konstantinopel ist?“
„Wenn man dem, was gesagt wird, Glauben schenkt, etwa drei Tage.“
„Was sind das für Reiter?“, fragte Ursula den Mann.
„Das sind Truppen von Byzanz; nachdem die Ritter des Einsiedlers bei Beograd 4000 erschlagen und die Stadt geplündert hatten, flüchteten sie und auch wir alle nach Niš, dort wurden wir von den Truppen empfangen, und seither geleiten sie uns und verhindern, dass weiter geplündert wird.“
Auf Ursulas verstörten Gesichtsausdruck fuhr er fort. „Von irgendetwas müssen wir alle leben. Und alle, die uns auf unserer heiligen Wallfahrt nicht unterstützen, sind gegen uns und Feinde des Papstes.“
Ursula wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Das, was sie auf dem Hof vor einigen Tagen hatte sehen müssen, schien ihr alles andere als im Sinne des Papstes zu sein. Schweigsam lief sie neben ihrem Esel her. Die staubige Luft dörrte ihre Kehle aus, und auch an den Geruch, den all die Menschen und Tiere ausströmten, musste sie sich wieder gewöhnen.
Als die Sonne unterzugehen begann, drängten die Reiter das Volk von der Straße, und ein jeder begann, sich für die Nacht herzurichten. Feuer wurden entzündet, Zelte aufgeschlagen und Tiere eingepfercht. Auch Hilde und Ursula spannten ihren Esel aus, banden ihn an und kümmerten sich anschließend um ein Feuer und ihr Abendmahl. In der Dämmerung bildeten all die Feuer eine lange Lichterkette. Das Bild hätte friedlich sein können, doch sowohl weiter vorne als auch hinter ihnen waren streitende Stimmen
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