Die Kreuzfahrerin
davon überzeugte. Sie haben den Boden von St. Peter aufgerissen und an der Stelle, die Bartholomäus im Traum gesehen hatte, gegraben. Und ratet mal, was sie gefunden haben?“
„Woher sollen wir das wissen, einen Schatz vielleicht, komm, erzähl schon weiter“, murrte Hilde.
Der Knappe machte eine bedeutungsvolle Pause und zischte dann im Flüsterton: „Die Heilige Lanze!“
„Welche Lanze soll heilig sein?“, fragte Ursula verwirrt.
„Der Spieß, mit dem der Soldat die Seite unseres Heilands durchbohrte“, antwortete der Knappe und bekreuzigte sich. „Gott hat uns doch nicht verlassen. Mit der Heiligen Lanze werden wir siegen.“
Die ganze Stadt geriet in Aufruhr. Alle wollten die Reliquie sehen und berühren. „Deus lo vult!“, wurde in den Kirchen gerufen, und viele pilgerten trotz Angst vor der Seuche zur Kathedrale. Überall flammte Hoffnung auf. Ritter und Soldaten rüsteten sich zum Kampf. Knapp zwei Wochen nach dem Fund der Lanze machte sich das Heer bereit. Die Schlachtrösser wurden mit dicken, ledernen Schürzen behängt, die sie vor den Pfeilen der Muslime schützen sollten. Überall hörte man das kratzende Geräusch von Schwertklingen, die zum Schärfen über einen Stein gezogen wurden.
Noch einmal riefen die Mönche in der ganzen Stadt zur Umkehr und Buße auf. Alle Kirchen waren erfüllt von den Schwaden der Räucherfässer und dem Gemurmel der Betenden. Manch einer der Gläubigen sank auf die Knie und fiel noch vor Ende eines Pater Noster tot um. Der Hunger, schwelende Verletzungen und fremde Krankheiten ließen sich von keiner noch so heiligen Waffe beeindrucken. Nur in den Augen der Menschen sah man immer wieder den Schimmer von Hoffnung und festem Glauben.
Antiochia,
28. Juni 1098
In den frühen Morgenstunden begannen die Ritter damit, ihre Streitrösser hinter den Toren aufzustellen. Hinter den Reitern formierte sich das Fußvolk. Auf der Mauer liefen geduckt die Bogenschützen in ihre Stellungen. Niemand vor den Mauern sollte von den Vorbereitungen etwas merken. In einer schweigenden Prozession kamen Mönche und Priester von der Kathedrale durch die Stadt herunter zum Tor. In ihrer Mitte Bischof Adhémar von Le Puy und neben ihm sein Chronist Raimund von Aguilers, er trug das Heilige Lanzenblatt auf einem langen Stab. In allen Gassen warteten die Krieger gespannt auf das Zeichen. Langsam wurden die Flügel des Stadttores aufgezogen. Durch den Torbogen sah man das Meer der Feindeszelte und davor, ein kurzes Raunen ging durch die Menge, die aufgestellten Streitmächte der Muslime. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Glocken der Kathedrale wurden geläutet, Raimund von Aguilers hob die Lanze. „Deus lo vult!“, rief er, und die bis dahin zum Schweigen verdatterte Stadt antwortete ihm: „Gott will es!“
Höhnisch brüllte die Streitmacht vor den Mauern den Christen ein an Wolfsgeheul erinnerndes „Allahu akbar!“ entgegen.
„Was rufen sie?“, fragte Ursula einen, der in ihrer Nähe stand.
„Gott ist groß!“, antwortete ihr der Kerl mit verlegenem Grinsen.
Bischof Adhémar war an der Spitze der Reiterei in den Sattel gestiegen und senkte nun seine Lanze. Dann preschten sie los. Mit ohrenbetäubendem Gebrüll stießen die Heere aufeinander. Von den Mauern unterstützten Pfeilwolken den Ausfall, und in größter Raserei schlugen die Christen um sich.
Bereits am Nachmittag prasselten Hufe durch die Gassen, und Boten verkündeten den Sieg. Ursula war vor das Haus getreten und versuchte, aus den Schreien die wesentlichen Informationen herauszuhören. Sie hatten gesiegt, doch riefen die Boten noch etwas von heiligen Reitern, von Toten, die mit ihnen gekämpft hätten. Ursula schüttelte den Kopf. Waren jetzt alle verrückt geworden? Ihre einzige Sorge galt jedoch Roderich, und ungeduldig erwartete sie seine Rückkehr.
Auch Roderich redete, als er ermattet im Hof saß, wie im Wahn von heiligen Kriegern.
„Was für Krieger?“, wollte Ursula genauer wissen.
„Als wir unter dem Pfeilhagel der Muslime hindurch auf ihre Reihen zuritten, erschienen auf den Hügeln hinter dem Feind drei in strahlendes Weiß gekleidete Reiter“, erzählte Roderich. „Irgend jemand rief: ‚Seht, der heilige Georg‘, und andere riefen: ‚Gott schickt uns die Heiligen‘. Es gab kein Halten mehr. Die Muslime waren durch die Rufe und durch die ausgestreckten Arme, die auf die Hügelkette in ihrem Rücken deuteten, verwirrt. Die gepanzerte Reiterreihe ritt sie zu Hunderten nieder.“
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